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Ein Zwischenraum mitten in der Stadt: Die Hangkante in München

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Wie oft fährt man jahrelang mit dem eigenen Auto immer dieselben Strecken durch die Stadt, kommt immer an bestimmten Plätzen und Orten vorbei, von denen man schon immer wissen wollte, was sich dahinter verbirgt. Jahrelang sagt man sich, »hier halte ich irgendwann mal und schau mir das genauer an.« Sei es ein Platz, der eine besondere Aura ausstrahlt; oder ein Gebäude, das von Außen verheißungsvoll aussieht; oder ein Laden, in dem interessante Antiquitäten im Schaufenster stehen. Aber man tut es nie. Immer fährt man daran vorbei. Warum ist das so?

Je schneller die Verkehrsmittel geworden sind, desto direkter wurden die Verbindungen von A nach B; in der eigenen Stadt bewegt sich ein Großteil der Pendler mit U-Bahn, Bus und Auto. Allerdings bringt diese Effizienz in der Mobilität auch immer einen Verlust mit sich: In den letzten 100 Jahren ist aus der »Reise« eine reine »von A nach B«-Angelegenheit geworden, vom Start zum Ziel. Und was ist mit all dem, was dazwischenliegt? Die Reise an sich? Der Zwischenraum zwischen A und B, beschrieben in der alten Redewendung »Der Weg ist das Ziel«? Wir haben vergessen, dass zwischen A und B das eigentliche Abenteuer verborgen liegt.

Heute habe ich es anders gemacht. Ich habe geparkt, bin ausgestiegen und bin zu Fuß weitergegangen, um einen dieser Zwischenorte/Zwischenziele, an denen ich oft vorbeigefahren bin, zu erkunden. Der Zwischenraum, den ich heute erforscht habe, hat mich an meiner Heimatstadt München schon immer fasziniert und magisch angezogen: Und das ist die östliche Hangkante, die Geländestufe, die sich entlang der Isar durch die ganze Stadt zieht. Ich ging die Montgelasstraße entlang, ihrem Gefälle folgend und bog wenig später unter dem grünen Blätterdach in den Fuß- und Radlweg ab, der in langen Serpentinenschleifen die Hangkante hinunterführte.

Aus der Froschperspektive des Autofahrers ist München, bedingt durch die Lage in der eiszeitlichen Schotterebene, gefühlt flach. Auch, weil man viele Geländestufen gewohnheitsmäßig überwindet (und als Autofahrer keine Kraft aufwenden muss, um sie zu überwinden). Erst aus der aufmerksamen Perspektive des Fußgängers oder aus der Vogelperspektive sieht man die topografischen Besonderheiten. Entstanden ist die Stadt auf der sogenannten Altstadtterrasse, eine Geländestufe, deren bekannteste Erhebung das Petersbergl ist; aber auch der Spaziergänger auf der Sendlinger Straße wird bemerkt haben, dass es Richtung Oberanger bergab geht. Die markanteste topografische Besonderheit ergibt sich jedoch durch das Isarhochufer, das auf der östlichen Seite des Flusses einen Höhenunterschied von ungefähr zwanzig Metern gegenüber dem anderen Ufer aufweist. Hangkante und Isarhochufer ziehen sich von Oberföhring bis nach Harlaching, als grüne, eigene Welt, die sich hinter den Straßen und Häusern versteckt. Im Vorbeigehen erhascht man immer den ein oder anderen Einblick, zum Beispiel am Ende des lauschigen Wienerplatz’, hinterm Kloster Neudeck in der Au, oder, noch etwas dramatischer, auf der Gebsattelbrücke, von der aus man von der Hochstraße den Gebsattelberg herunterschauen kann. Markanter und weithin sichtbar ist beispielsweise der Gasteig. An dieser Stelle schraubte sich die Straße mit relativ steilem Gefälle  die Hangkante herunter (daher auch der Name, der sich von gacher Steig herleitet) und führte die alte Salzstraße von Osten her über die Isar. Auch andere historische Bauten inszenieren durch ihre exponierte Lage die Hangkante und sind von weither sichtbar, zum Beispiel Maximilianeum und Friedensengel (das Pendant auf der anderen Seite ist übrigens die Bavaria, die auf der etwas weniger markanten westlichen Hangkante steht – auch der Name der Theresienhöhe deutet auf die Erhebung hin).

Bei meiner Recherche für diesen Beitrag drüber gestolpert: Das fantastisch recherchierte Buch »Münchner Bergführer« von Gerhard Ongyerth (Franz Schiermeier Verlag München)

Hangkante

Dieses topografische Modell von München ist im Stadtmuseum zu sehen und zeigt die östliche und westliche Hangkante auf beeindruckende Weise. In Wirklichkeit ist sie etwas weniger dramatisch: das Modell verwendet zwei verschiedene Maßstäbe für die Fläche und für die Höhe

Ich folgte dem Wanderweg hinunter in die grüne Senke. Unterwegs begegneten mir wenige Menschen, eine Mutter mit Kinderwagen, ein Radler, der abgestiegen war und sein Radl nach oben schob. Dann hatte ich den Talboden des Herzogparks erreicht. Im Jahr 1900 verkaufte der Wittelsbacher Herzog Karl Theodor von Bayern das riesige Grundstück des Herzogparks (1,3 Millionen Quadratmeter), um damit die Hochzeit seiner Tochter zu finanzieren. Der um die Jahrhundertwende völlig verwilderte Park erstreckte sich von der Max-Joseph-Brücke bis nach St. Emmeram in Oberföhring, begrenzt von der Isar und dem Isarhang.

Ich bog in die Herzogparkstraße ab und stand auf einmal am Fuß einer Treppe, die entlang eines durchgehenden Jugendstilblocks wieder die Hangkante hinaufführte. Ich war irgendwie aufgeregt, so wie man ist, wenn man einen magischen Ort gefunden hat, einen Zwischenraum, der eine geheimnisvolle Aura verströmt. Ich stieg die Treppe nach oben und stand wenig später fünfundzwanzig Meter höher wieder auf der Montgelasstraße. Später versuchte ich im Internet mehr über diesen Ort zu erfahren und wie er entstanden war. Die Ergebnisse waren recht spärlich; die Wohnanlage und die neubarocke Treppe sind ungefähr 100 Jahre alt. Ein Zeitgenosse berichtet in einem auf Google Books veröffentlichten Buch die Geschichte seiner Kindheit in Bogenhausen. Dass sich einst an der Treppe eine Schokoladenfabrik befand, wo er Bruchschokolade für ein Mädel aus der Nachbarschaft kaufte. Das einzige, das noch von ihr übrig ist, ist ein alter Schriftzug über der Treppe.

Der Eingang zur Treppe ist von oben an der Montgelasstraße 43, von unten an der Herzogparkstraße 1.

Mehr zur Wohnanlage Herzogpark hier

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