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What’s Your Story? Storytelling im Unternehmen – Blogbeitrag auf intrinsify

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Dieser Blogbeitrag erschien am 8. November 2018 auf dem New Work-Netzwerk »intrinsify«. Zu diesem Beitrag gibt es auch einen Podcast auf Spotify, den ich selbst vorlese.

Ein paar Dinge auf meinem Schreibtisch

Die alte Macht des geschriebenen Wortes

Vor ungefähr 70.000 Jahren passierte etwas merkwürdiges: Aus ungeklärter Ursache entwickelte der Mensch eine Sprache. Diese »kognitive Revolution« ermöglichte es dem Menschen, eine gewaltige Menge an Information über seine Umwelt weiterzugeben. Erstmals war er dadurch in der Lage, in größeren Gruppen zusammenzuarbeiten und so seine Kraft effizient zu potenzieren.

Das wirklich Einmalige an unserer Sprache jedoch, um Yuval Harari aus seinem Buch »Eine kurze Geschichte der Menschheit« zu zitieren, ist, dass wir uns über Dinge austauschen, die es gar nicht gibt: »Nur der Sapiens kann über Möglichkeiten spekulieren und Geschichten erfinden. Nur mit der menschlichen, »fiktiven« Sprache lassen sich Dinge erfinden, weitererzählen und gemeinsam vorstellen.«. Moderne Unternehmen funktionieren nicht viel anders. Die erfolgreichsten Unternehmerfiguren unserer Zeit – Typen wie Elon Musk – sind im Grunde genommen mächtige Geschichtenerzähler, die Visionen heraufbeschwören, denen viele Menschen Glauben schenken und denen sie folgen, seien es Mitarbeiter, Investoren, Kunden und mit ihnen die gesamte Öffentlichkeit.

Zurück in die Gegenwart

Moderne Unternehmen basieren auf der kollektiven Vorstellung ihrer Mitarbeiter. Gemeint sind hier die Dinge, die unsichtbar und unanfassbar auf einer anderen Ebene angesiedelt sind. Und diese machen neben Mitarbeitern, Maschinen, Computern, Werkzeugen, Werkshallen, und so allem möglichen, das im Anlagevermögen steckt, das Unternehmen überhaupt zu einem Unternehmen: Seine übergeordnete Idee. Der Daseinszweck in der Welt. Die Kultur. Die Herkunft. Die Menschen. Ihr Antrieb, ihre Überzeugung und Haltung, die Richtung, in die sie gemeinsam gehen, die Vision, der alle folgen. Es ist das, an das alle im Unternehmen glauben. Der Grund, warum alle da sind. Der Stoff, der jede menschliche Unternehmung zusammenhält.

Wie heißt dieses unsichtbare Etwas?

Es ist schwierig, diesem mächtigen, unsichtbaren Etwas den richtigen Namen zu geben. Es ist so groß und durchdringt so viele Facetten des Unternehmens, ist aber trotzdem in keiner der klassischen Disziplinen beheimatet, weder in der betriebswirtschaftlichen, noch in der juristischen, noch in der vertrieblichen Betrachtungsweise. Wie also heißt dieses unsichtbare Etwas? Ich schlage vor, wir nennen es für den weiteren Verlauf dieser Zeilen die »Story«; den aktiven Vorgang des Geschichtenerzählens »Storytelling«. Die Story ist der virtuelle Spiegel des realen, physischen Unternehmens in der kollektiven Vorstellungskraft von Mitarbeitern, Kunden, Partnern und Öffentlichkeit.

Implizites Wissen in den Köpfen

Oft sind diese unsichtbaren, übergeordneten Themen der Story als implizites Wissen in den Köpfen oder im Bauchgefühl der Gründer und Mitarbeiter enthalten. Sie stehen eher zwischen den Zeilen; als Mitarbeiter muss man einige Jahre im Unternehmen verbracht haben, um dieses implizite Wissen durchdrungen und sich intuitiv angeeignet zu haben. Andersherum erhalten neue Mitarbeiter beim Onboarding Handbücher über die Serverstruktur, Datenschutz-Direktiven und andere Prozeduren; was das geschriebene Wort betrifft, wo die/der Neue etwas über die Kultur und den Purpose des Unternehmens erfährt, da gibt es oft nichts nachzulesen. Dieses Sinn-Vakuum kann zum Problem werden, da sich an dieses unsichtbare Wissen auch unsichtbare Gesetze und Vorhaltenscodici sowie Erwartungshaltungen knüpfen, die »die/der Neue« also unmöglich wissen kann.

Es wird ja viel geschrieben und kommuniziert im Unternehmen: in Projektteams, in Abteilungen, in Management Circles und Sales-Rep-Gruppen, in Emailverteilern und Whatsapp-Gruppen, in WebEx-Konferenzen und Exec-Calls, in Ticketsystemen und Cloud-Kollaborationstools, im Firmen-Facebook und HipChat-Räumen. Aber mich beschleicht schon länger das Gefühl, dass vor lauter fragmentiertem digitalen Geblubber in immer mehr Kommunikationskanälen immer weniger substanzielles ausgetauscht wird.

Umso verrückter ist es, dass der wesentliche, substanzielle Stoff in Unternehmen so selten aufgeschrieben wird. In vielen Unternehmen gibt es keine Brand Story, die im geschriebenen Wort die großen Themen festhält. So dass sie durchdacht, ausformuliert, verbindlich zu Papier gebracht ist und dann wieder ins Unternehmen getragen werden kann.

Die Story geht von Innen nach Außen

Was sich geändert hat, ist, dass es heute, in der Social Era (dieser Begriff stammt von Nilofer Merchant in ihrem Buch »11 Rules for Creating Value in the #SocialEra«) eben nicht mehr ausreicht, Inhalte und Botschaften zu produzieren, nur um sie direkt nach Außen zu geben (eine Aufgabe, die traditionell in Marketing und/oder PR aufgehängt war). Sie kommen aus dem Innersten des Unternehmens, und sie müssen aufgeschrieben werden, um sie zuerst einmal im Innerendes Unternehmens in den Austausch zu bringen.

Und warum? Es hat viel mit Sinnstiftung zu tun: In diesen verwirrenden Zeiten muss sich jedes Unternehmen die Frage nach dem Daseinszweck stellen; genauso, wie sich jeder Mitarbeiter die Frage stellt nach der Sinnhaftigkeit dessen, was er und sein Unternehmen zu diesem Zeitpunkt der Geschichte da tun. Umso wichtiger wird die Story, um bei aller Kleinteiligkeit des Tagesgeschäfts nicht das große Bild aus den Augen und Mitarbeiter zu verlieren, die wegen akut empfundener Sinnlosigkeit das Unternehmen verlassen. Irgendwo habe ich neulich in einem klugen Artikel gelesen, »erstmal müssen Deine Mitarbeiter Dein Unternehmen lieben. Dann erst kann überhaupt jemand außerhalb Dein Unternehmen lieben.« Voraussetzung für die Menschen, ihr eigenes Unternehmen zu lieben, ist nicht nur, dass es ihnen eine physikalische Heimat ist (immerhin verbringen die Menschen immer noch viel Zeit im Büro). Voraussetzung ist vor allem, dass es ihnen eine geistige Heimat ist. Es bietet eine kollektive Sammlung von Geschichten, etwas, was sie gut kennen, woran sie glauben können und das ihnen ein Zugehörigkeitsgefühl vermittelt.

Genau das ist Aufgabe des Storytellings. Das ist das Instrument, das alles bündelt, vereint und erlebbar macht; es ist die Geschichte, die ich meinen Freunden erzähle, wenn sie mich fragen »Was macht ihr da eigentlich in deiner Firma?«.

Die Geschichte vom Sisyphos 2.0

Ein mit mir gut bekannter Gründer und Gesellschafter eines international erfolgreichen Digital-Beratungsunternehmens in drei Kontinenten schüttete mir neulich sein Herz aus und berichtete voller Frust, er reise ständig zwischen allen Standorten herum und würde tagtäglich mit vielen Menschen im Unternehmen sprechen, ihnen immer und immer wieder erzählen, wofür das Unternehmen stünde, welche Werte es vertrete, mit welchem Gedankenansatz sie Projekte angehen könnten. Und egal, wem und wie oft er es erzählte, er hätte immer das Gefühl, dass die Menschen es sofort wieder vergessen würden und er beim nächsten Mal wieder bei Adam und Eva anfangen würde. Fast ein moderner Mythos, eine Art Sisyphos 2.0 der Unternehmenskommunikation.

Vielleicht eine einfache Erklärung: Es gab im Unternehmen keine Story. Es gab praktisch nichts schriftliches zu lesen über das Unternehmen, kein Manifest, keine Pressearbeit, eine veraltete Website. Der Unternehmer hatte in all den Jahren zwar seine Leistung weiterentwickelt, die Internationalisierung vorangetrieben und war wirtschaftlich durchaus erfolgreich; aber er hatte nicht daran gedacht, die große Idee aufzuschreiben, die für seine Mitarbeiter so immens wichtig war, umso mehr, da ihr Serviceangebot sehr abstrakt und unsichtbar ist. Und die Story immer weiter zu schreiben und die Art und Weise zu dokumentieren, wie sein Unternehmen sich veränderte. Und Medien zu finden, die leichtfüßig in der Lage waren, eine sich immer fortschreibende Geschichte nach Innen zu tragen. Um sie dann, im zweiten Schritt, auch nach Außen zu tragen. Die Folge: das Unternehmen fühlte sich nach Innen eigenartig leer und inhaltslos an, die Stimmung war oft schlecht, die Mitarbeiter beklagten oft eine Orientierungslosigkeit; in der Folge kam es zu einer Kündigungswelle.

Blog statt Bibel

Heute muss man ja die Story nicht mehr in Keilschrift in Steinplatten hauen, die tausend Jahre halten; keine Unternehmensrealität hat heute eine so lange Halbwertszeit. Es ist heute auf Grund der Geschwindigkeit der technologischen Entwicklung unmöglich, eine perfekte Brand Story zu Papier zu bringen, die in alle Ewigkeit Gültigkeit hat. Hauptsache, sie ist überhaupt irgendwo nachzulesen. Hauptsache, sie wird kontinuierlich fortgeschrieben, als »Continuous storytelling«: Eher Blog als Bibel. Dafür sind die schnellen, auf Feedback und Connectivity angelegten Kommunikationsmedien extrem gut geeignet: Blog, Website, Talks, Meetups. Sie können leicht überschrieben und weitergeschrieben werden, sie leben von ihrem Diskurs und ihren Feedbackfunktionen. Das kontinuierliche, geschriebene Wort kann hierbei mehr Identifikation stiften als die schlecht vorbereiteten Worte des Chefs bei der alljährlichen Weihnachtsfeier.

In vielen Branchen haben die digitalen Nomaden der geburtenschwachen Jahrgänge ja heute die Wahl, ob und wie lange sie bleiben und ob sie sich überhaupt in ein Angestelltenverhältnis begeben. Wenn sie es denn tun, erwarten sie heute vom Unternehmen ein gedankliches Gebäude, das Sinn stiftet, das sich seiner gesellschaftlich relevanten Rolle in der Welt bewusst ist, das für Werte steht, an die ich glauben kann, und in der ich als einzelner etwas beitragen kann. Und das können die Story, das geschrieben Wort, das Storytelling leisten. Das konnten sie schon seit Jahrtausenden.

Dieser Blogbeitrag erschien am 8. November 2018 auf dem New Work-Netzwerk »intrinsify«. Zu diesem Beitrag gibt es auch einen Podcast auf Spotify, den ich selbst vorlese.

Lies hier den Original-Artikel auf meinem Blog, »Writing is to create meaning«