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Vortrag an der Hochschule Coburg, Studiengang Integriertes Produktdesign

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Julia Peglow-Peters, Geschäftsführerin von icon incar, Design Consultancy für Automotive User Experience, gibt in ihrem Vortrag Einblicke in Projekte der Human Machine Interface Entwicklung; vor allem aber geht es ihr um die Themen, die das Automotive Geschäft heute wirklich umtreiben und auf die wir eine Antwort finden müssen: die Vernetzung mit anderen Lebensbereichen und Branchen. Unternehmensstrukturen, die an ihre Grenzen stoßen. Designprozesse, die immer noch nicht auf der Höhe der Zeit funktionieren. Teile des Vortrags, sowie konkrete Projektbeispiele können aus Geheimhaltungsgründen nicht veröffentlicht werden.

One cannot not communicate

Es gibt immer zwei Wege, eine Geschichte zu erzählen: ein klare Auflistung von Fakten, um ein perfektes Bild herzustellen. Oder eine Geschichte, der es darum geht, ehrlich, zugänglich und nachvollziehbar zu sein. Menschlich eben. Es ist schwer zu verstehen, warum dieser elementare Auftrag in der Kommunikation von Unternehmen und Organisationen so oft verloren geht, warum diese einfach nicht in der Lage sind, menschlich zu kommunizieren oder sich richtiggehend darum bemühen, sämtliche menschliche Tonalität aus ihrer Kommunikation auszuschließen. Ist doch alles in der menschlichen Welt Kommunikation. One cannot not communicate, sagte schon der Psychologe und Kommunikationstheoretiker Paul Watzlawick in den 1970er Jahren.

Design ist die universelle Sprache, die diese Verbindung und menschliche Kommunikation schaffen kann, auch in der Mensch-Maschine-Kommunikation. Und nie gab es eine Designsparte wie das heutige User Experience Design, in der das User Interface als Gatekeeper unmittelbar dieses Fenster der Verbindung gestalten und mit Sinn und Bedeutung füllen kann. Interface Design zwischen Mensch und Welt, Mensch und Maschine oder Mensch und Marke. Und der Gatekeeper hat naturgemäß eine machtvolle Position inne, was der Rolle des Designers in den beteiligten Unternehmen weiter Auftrieb verschafft.

Die Zeit in der wir leben

Der Verlust der Haptik

Im Rausch der technologischen Entwicklung ist uns vieles verloren gegangen in den letzten Jahren – persönliche Dinge und Alltagsgegenstände, mit deren Hilfe wir unser Leben individuell dokumentieren konnten und die damit Träger unserer Identität wurden: das handgeschriebene Adressbuch, der Ringbuch-Kalender, das Mixtape, der Papier-Stadtplan sind alle im gnadenlos gut gebündelten Konzept des Smartphones und seiner App-Landschaft aufgegangen. Die digitalen Medien gehen mit einem herben Orientierungs- und Erinnerungsverlust einher, was eine norwegische Studie zeigt: Diese besagt, dass sich Probanden gelesene Inhalte schlechter merken können, wenn sie diese an einem e-Book-Reader im Vergleich zu einem Paperback-Buch gelesen haben (Quelle: Guardian). Der Mensch ist ein sensorisches Wesen. Er braucht Haptik für Emotion, Erinnerung und Verbindung. »Humanize design« bedeutet in dem Zusammenhang: Wenn die Haptik verloren geht, müssen wir im UX-Design Ersatzsysteme finden.

Das antiquarische Adressbuch – aus dem Privatarchiv

Für die, die diese Dinge nicht mehr kennen: Dieses Kalendersystem nannte man Filofax

Für jeden, der mal in London gelebt hat, war es unverzichtbar: das London A-Z

Das Ende der Marke

Die Marke, oder auch Corporate Design oder auch Branding, waren eigentlich genau die Instrumente, die die kommunikative »Speckschicht« rund um das Unternehmen oder das Produkt darstellten. So war es gedacht, und mit diesem idealistischen Kommunikations- und Informationsauftrag sind seit den 1960er und 70er Jahren Generationen von Designern (allen voran Otl Aicher) angetreten, um das Gute im Inneren von Unternehmen und Produkten nach Außen sichtbar machen. Designer sind jedoch immer auch ein Stück weit Idealisten. Aus unternehmerischer Sicht ist Branding auch schon immer ein Machtinstrument gewesen (steckt doch wortwörtlich übersetzt ein gewisser Gewaltakt im Terminus branding, ‚einbrennen‘), den eigenen Hoheitsbereich und die Alleinstellung des Unternehmens zu markieren und sich selbst an die Spitze zu stellen. Durch die Vernetzung der Lebens- und Arbeitsbereiche und daraus resultierende digitale Geschäftsmodelle erleben wir jedoch eine Zeit, in der die alte, isolierende Denkweise von Marke in eine Sackgasse führt.

Auf der Exponentialkurve der technologischen Innovation

Man kann ja vieles behaupten, dass sich alles ändert, früher alles besser oder im Grunde genommen schonmal dagewesen ist – ein Aspekt unserer Zeit ist tatsächlich absolut neu und noch nie dagewesen. Und das ist die Tatsache, dass wir uns auf einer Exponentialkurve der technologischen Innovation befinden. Und zwar ziemlich genau an dem Punkt, an dem die Kurve ihre Richtung steil nach oben wechselt und geradewegs durch die Decke geht. Besonders plastisch zeigt dies die »Kurzweil-Curve«: Demnach lagen zwischen der agrarlandwirtschaftlichen Revolution, als der Mensch anfing Getreide anzubauen, und der industriellen Revolution 8.000 Jahre. Zwischen letzterer und der Erfindung der elektrischen Glühbirne 120 Jahre. Zwischen letzterer und der Mondlandung 90 Jahre. Zwischen dieser und der Erfindung des Internet 22 Jahre. Und der Abstand zwischen jenem um der Entschlüsselung des menschlichen Genoms 9 Jahre. Den tiefen Paradigmenwechsel beschreibt auch eine Studie des World Economic Forums aus dem Jahr 2014: »Technology Tipping Points and Societal Impact« (Quelle: World Economic Forum). Als die 11 wichtigsten technologische Treiber mit gesellschaftlicher Relevanz beschreibt die Studie Connected Devices, Biometric Connected Devices, 3D Printing, Artificial Intelligence, Reactive Robots, AR/VR, Invisible User Interfaces, Realtime Data Analysis, Persistent Consumer Identity, Nano Technology und Cloud-Based Data Management.

Ray Kurzweil ist Autor, Erfinder, Futurist, und „Director of Engineering“ bei Google

Angesichts dieser Themen gerät auch der Gedanke des User-centered Designs unter Druck. Um nicht permanent der Technologie als Treiber hinterherzuhinken, müssen Unternehmen eine Antwort auf die Frage finden, welche Relevanz die technologischen Treiberthemen für die eigenen Produkte und Services haben. Hierbei den User zu fragen, kann unter Umständen bedeuten, nicht weit genug zu springen. »Wenn ich die Menschen gefragt hätte, was sie wollen, hätten sie gesagt, schnellere Pferde.«, sagte schon Henry Ford. Die richtige Herangehensweise kann heute eigentlich nur darin bestehen, sich per »Moonshot« die Zukunft herbeizuimaginieren, daraus ein Drivat für die nähere Zukunft zurückabzuleiten, um dann wiederum konkrete Handlungen und Schritte im Jetzt und Heute in die richtige Richtung zu unternehmen.

Der optimistische Blick in die Zukunft

Die digitale Transformation fühlt sich deshalb für viele Unternehmen schmerzvoll an, weil die Landkarte noch so viele weiße Flecken hat und die Unsicherheit entsprechend groß ist. Ihr Geschäftsmodell kommt aus der analogen Welt; gerade haben sie mit Mühe die Gebirgszone Internet, Mobile Web, Mobile Apps und Social Media erklommen, nur um jetzt in einer sumpfigen Landschaft namens Product Augmentation und Internet of Things im Nebel herumzutappen. Was dahinter liegt, ist unbekannter Dschungel. Die gleichen Unternehmen haben in den letzten Jahren mit angesehen, wie digitale Serviceprovider und »Beziehungsmanager« über Nacht ganze Industrien und OEMs (Original Equipment Manufacturers = Hersteller von Komponenten und Produkten) ausgehebelt haben: Das weltweit größte Taxiunternehmen UBER besitzt selbst keine eigenen Taxis, der weltweit größte Anbieter von Übernachtungsmöglichkeiten air b’n’b besitzt selbst keine eigenen Immobilien, das weltweit beliebteste Medienunternehmen facebook besitzt und entwickelt keinen eigenen Content. In der Bewertung von börsennotierten Unternehmen schlägt heute die Fähigkeit, Beziehungen zu kapitalisieren, bei weitem die Fähigkeit, Produkte oder Komponenten herzustellen. So liegt der Börsenwert von UBER derzeit bei 70 Milliarden Dollar, soviel, wie Ford und General Motors zusammen nicht auf die Wage bringen.

Doch das Klima dreht sich. Versprach beispielsweise UBER jedem den Traum, ein Taxi-Unternehmer sein zu können (»Gemeinsam bewegen wir die Welt«), entpuppt sich dies seit dem Pittsburgh-Projekt als Digitale Aggression: Dort betreibt UBER im Modellversuch seit diesem Jahr in der ganzen Stadt selbstfahrende Roboter-Taxis, die also gar keinen Fahrer mehr benötigen (Quelle: Wired Magazine).

Hier liegt die Chance: Die Wachstumsmöglichkeiten für das physikalische Produkt haben ein Plateau erreicht. Bald wird das gleiche mit digitalen Services passieren. Interessant wird die Kombination aus beidem als intelligentes »Connected Product«: Die Verbindung vom physikalischen Produkt und intelligenten, digitalen Services ermöglicht es den klassischen OEMs, auch in Zukunft eine relevante Rolle im Leben ihrer Kunden zu spielen und gleichzeitig diese Beziehung zu kapitalisieren.