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»Vom Mut des Aufbruchs, des Ankommens und des Abschieds« – Beitrag in der FORMAT

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»Format« ist das Magazin der Studierenden der Hochschule für Gestaltung Schwäbisch Gmünd. Zum Ende des Semesters kommt die 20. Jubiläumsausgabe heraus, unter dem Motto »Mut«. Ich freue mich sehr, dass die Studenten der Redaktion mich gefragt haben, ob ich einen Beitrag für die Zeitschrift schreiben will. Ich musste nicht lange überlegen und bin auf meinem eigenen Weg an einen Punkt zurückgegangen, der für mich eine gewaltige Erfahrung war: Meine London-Jahre.

Hier ist er in voller Länge.

 

Vom Mut des Aufbruchs, des Ankommens und des Abschieds

Getrennte Welten

Eigentlich ging es mir schon immer so, dass sich die Erwachsenenwelt hermetisch und verschlossen vor mir auftürmt (dabei gehöre ich mittlerweile offensichtlich selbst dazu). Sie tut immer so perfekt, als hätte sie auf alle Fragen eine Antwort. Wo man hinschaut Erfolgsstories. Selten in meinem Leben hat mir jemand ehrliche Einblicke gewährt oder mir ein offenes Wort gesagt, wie es läuft in dieser Welt. Vor allem als junge Designerin hätte ich das ab und zu gut gebrauchen können. Hier und da habe ich ein Körnchen Wahrheit gefunden. Viel Wissen und Weisheit in Büchern. Meinen Weg musste ich ganz alleine suchen.

Ich empfinde heute immer noch die meisten Welten als total voneinander getrennt. Die Business-Welt: eine gigantische Echokammer. In vielen Branchen und Unternehmen ist es nicht anders. Die Hochschulen: ein Elfenbeinturm. Die Männerwelt. Die Frauenwelt. Jede Generation baut sich ihr eigenes Silo. Und auch als Designer wird man immer noch fein säuberlich in eine Schublade gesteckt. Warum fließt das nicht alles mehr ineinander? Es ist doch alles eins. Warum findet nicht mehr Austausch statt? Ich finde, die Grenzen müssen hier durchlässiger werden. Mehr Miteinander, mehr Vernetzung statt Abgrenzung.

Im Gestaltungskontext wird ja immer viel über Gestaltung gesprochen. Nicht so oft über das echte Leben. Dabei sind beide untrennbar miteinander verbunden. Dabei ist es ja die schwierigste Gestaltungsaufgabe, sein Leben zu gestalten. Dies ist ein kurzer Einblick in meine Geschichte. Er beschreibt einen Schlüsselmoment in meinem Leben, in dem es Mut gebraucht hat, eine Sache zu beginnen. Dann, sich auf sie einzulassen. Und fast am meisten, sie wieder zu beenden.

Bloody London

Im 6. Semester bin ich als Erasmus-Student nach London gegangen, ans Ravensbourne College of Arts and Communication, und nach einem kurzen Diplom-Zwischenstop in Gmünd ganz nach London gezogen.

Ich bin völlig unverfroren auf diese Stadt zugegangen, sechs Wochen durch alle Designstudios getingelt, die Rang und Namen hatten. Hab mich vorgestellt, gutes Feedback (»She’s so Ulm!«) und am Ende vier Angebote erhalten, zwischen denen ich wählen konnte. Ich habe mich für den Job bei MetaDesign London entschieden.

Damals haben mir viele Leute gesagt, wie mutig ich sei, aber ich habe das gar nicht so empfunden. Am Anfang ist immer alles leicht. Das Neue ist aufregend, es hat eine unglaubliche Dynamik, man ist so offen, die Antennen ganz weit ausgefahren – und das strahlt man auch aus. Als »Neuer« trifft man ja immer auf etablierte Strukturen, und die finden den, der von Außen kommt, erstmal erfrischend und spüren so ein bisschen den Hauch der Welt. Schwierig wird es eigentlich immer erst, wenn man angekommen ist.

Bei Meta habe ich als Junior Designerin an einem großen Branding-Projekt gearbeitet: Neue Identity und neues Corporate Design für einen Automobilkonzern. Wir haben mutige Dinge entwickelt, eine authentische Marke, echte Menschen, echte Story, immer angetrieben von der Frage, welche Rolle die Marke im Leben der Menschen spielte (Die Anfänge von user-centered Design!). Viel Gegenwind und Unverständnis beim Kunden, der Hochglanz und perfekte Welt wollte. Erik Spiekermann kam öfter im London-Office vorbei. Als ich mich eines Tages bei ihm beschwerte, wie lange so ein Corporate Design-Projekt dauert und dass nichts vorangehen würde und das alles so politisch sei, sagte er in seiner unnachahmlich schnodderigen Art: »Whaddaya complaining? That’s Corporate Design!«. Das hat mir damals geholfen. Wie das immer der Fall ist, wenn einer einem sagt, dass man halt akzeptieren muss, dass Wasser nass ist.

Kulturschock

Meine Schwierigkeiten haben sich dann auch eher auf kultureller Ebene abgespielt: Ich war der einzige »foreigner«, noch dazu eine der wenigen Frauen in einem ziemlich rüpelhaften englischen Designoffice. Sprache macht so viel aus. Am Anfang habe ich mich gefühlt, als sei ich meiner Persönlichkeit beraubt. Ich wusste einfach nicht, wie der Hase läuft, wie das Miteinander funktioniert, wie der Humor funktioniert, alle Facetten des Umgangs miteinander. Es gibt so einen unsichtbaren kulturellen Code, der einem gar nicht bewusst ist, wenn man sich immer nur auf vertrautem Terrain bewegt. Wenn man den nicht kennt, ist man Außenseiter, man eckt an ohne zu wissen warum, man geht den anderen auf die Nerven. Vor allem aber gibt es keine solch überwältigende Einsamkeit, wie die, alleine in einer fremden Mega City zu sein. Da abends niemand auf mich wartete und ich wochenends keine Verabredungen hatte, bin ich kilometerweit zu Fuß gegangen. Von der Arbeit in Islington nach Hause, »south of the river«, in zwei Stunden. Am Wochenende bin ich durch die Stadt gewandert und durch die Parks.

 

 

Vom Wahnsinn der Stadt und der Vorgärten

Um den Wahnsinn dieser riesigen und vereinnahmenden Stadt, in der ich lebte, zu verarbeiten, fing ich an wie verrückt zu fotografieren (eine Angewohnheit, die mich seither nie mehr losgelassen hat). Ich entdeckte die Ästhetik in der Alltäglichkeit und Hässlichkeit der Stadt. Später dann, als meine erste einsame Zeit vorbei war, ich mehr Freunde hatte und das Londoner Nachtleben entdeckte, fotografierte ich die Parties, die viele nackte Haut der Engländerinnen, die Damentoiletten, das Chaos auf den Tischen und Bartresen. Aber auch, wenn ich auf »Heimaturlaub« nach Hause zu meinen Eltern in unser ländliches Dorf bei München kam, fotografierte ich, und auch hier hatte ich einen ganz neuen Blick auf die Dinge gewonnen. Aus der Großstadt kommend, sah ich auf einmal die Weite, den Blick bis zum Horizont, und den Himmel, der viel weiter unten anfing als in London. Ich sah das vertraute Zuhause, für das man immer blind ist, mit offenen Augen; und während mich in London die Hässlichkeit inspirierte, faszinierten mich zu Hause der Wahnsinn der gepflegten Vorgärten, die akkurat geschnittenen Hecken, die Abdeckplanen auf den Autos, die Ordnung der Reihenhaussiedlungen.

Loslassen

Verrückterweise war die Entscheidung, die mich sehr viel mehr Mut und Überwindung gekostet hat, die, irgendwann von London fortzugehen. Ich hatte bei Null angefangen und mir mühsam diese Stadt erkämpft, sie mir Stück für Stück erschlossen. Vor allem aber hatte ich mich an den »Special Status« gewöhnt: »Ich leb’ in London.« Damit bist Du zu Hause der Held, auch vor Dir selbst. Du hast es irgendwie sichtbar geschafft. Die Flucht aus dem Gewöhnlichen. Es ist sehr schwer, sich davon zu lösen. Es hat mich Monate gekostet. Bis ich eines Tages an einer Busstation in Stoke Newington stand und die Erkenntnis mich auf einmal traf wie ein Schlag: Ich kann nach Hause. Ich erlaube es mir selbst. Wenige Wochen später hatte ich meine Zelte in der Stadt abgebrochen und kehrte nach drei Jahren London wieder nach Deutschland zurück. Schnurstracks in die Stadt, in der sich alles sammelt, was auf der Suche ist: Berlin.

Immer wieder hat sich in meinem Leben dieses Schema wiederholt. Ich habe mich begeistert in etwas Neues gestürzt, habe es gelebt, durchdrungen, mir zu eigen gemacht. Manchmal leicht wieder aufgegeben. Aber manchmal eben auch sehr schwer. Schwer war es für mich, eine intensive und langjährige Beziehung aufzugeben, mit Anfang Dreißig, um das Leben zu leben, das ich wirklich wollte. Schwer war es für mich, meinen langjährigen Geschäftsführer-Status aufzugeben, um wieder freiberuflich zu sein und mehr Zeit für die Themen zu haben, die mich umtreiben.

Das Gegenteil von Mut ist Angst. Unsere Kultur ist sehr stark von Sicherheitsdenken und Angst geprägt. Die Angst sitzt einem in den Knochen, sie hält einen fest. Angst, eine falsche Entscheidung zu treffen. Angst, etwas zu verpassen. Angst, sein wahres Gesicht zu zeigen. Angst, Kritik einstecken zu müssen. Angst, am Ende mit nichts dazustehen. Man muss sie überwinden, um seine eigene Stimme, seinen eigenen Weg zu finden.