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Vom Anfang und Ende des Büros: Hamburger Kontorhausviertel und Henri Hotel

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Willkommen im Hamburger Kontorhausviertel

Wenn man sich, sobald man würdevoll die mit rotem Teppich bespannte Treppe des Henri Hotels herabgeschritten, zweimal nach links gewendet, die große Steinstraße überquert und der Möhlenhofstraße gefolgt ist, steht man bald darauf auf dem Burchardtplatz und schaut auf die eindrucksvolle Klinkerfassaden-Architektur des von Fritz Höger in den 1920er Jahren erbauten Chile Hauses. 

Vorbild für diese seinerzeit architektonische Innovation lieferten damals wie auch heute oft die Amerikaner. Jedoch war der Gebäudetyp des Kontorhauses, der ab dem Ende des 19. Jahrhunderts bis zum 2. Weltkrieg in Deutschland gebaut wurde, in Nordamerika auf Grund der steigenden Grundstückspreise schon bald nicht mehr zweckmäßig; in Chicago und New York entstanden zu dieser Zeit schon die Skyscraper, die sich vielgeschossig in den Himmel erhoben.

Die Trennung von Arbeit und Leben

Warum der Gebäudetypus des Kontorhauses irgendwie erwähnenswert ist und auch im »diary of the digital age« seinen Platz hat liegt auf der Hand: Im Kontorhausviertel wurde vor ungefähr einhundert Jahren das Bürohaus, das Büro und somit ja auch unsere bis heute weit verbreitete Art zu arbeiten erfunden: die Büroarbeit. Das Kontorhaus und das gesamte Quartier wurde zu dem Zweck erbaut, die Arbeit fürderhin von Wohnung und Lagerung (in der Speicherstadt) zu trennen. 

Wohnungen und das normale Leben wurde aus dem Viertel verbannt, denn die ursprünglichen Bewohner mussten damals in die neuen Wohnhausbezirke in der Jarrestadt und der Veddel ausweichen. Seit dem 17. Jahrhundert war das südöstliche Gebiet der Hamburger Altstadt ein mit engen Gassen und Fleeten bebautes Gängeviertel gewesen, das nach dem Hamburger Brand 1842 und der Choleraepidemie von 1892 dringend sanierungsbedürftig geworden war. Ebenso wie das Gassengewirr dieser in ihren Grundzügen noch mittelalterlichen Stadtstrukturen war zuvor, wie mein Lieblings-Anarchist Tom Hodgkinson es formuliert, »Arbeit und Leben ineinander verflochten.« In den alten Gängevierteln wohnten meist mittlere und ärmere Bevölkerungsschichten, ebenso war kleinteiliges Gewerbe ansässig. Die Entwicklung der Kontorhäuser war der architektonische Entwurf eines Modells, das Arbeit und Leben voneinander trennte.

Sprung zurück in unsere Zeit. Was man also im eigenen Angestelltendasein und im Strudel des Büroalltags leicht vergisst: das Büro ist keine Weltordnung. Es ist noch gar nicht so lange her, dass das »Büro« und die Büroarbeit erfunden wurde – der Ort, an dem der Angestellte sich den größten Teil seiner Zeit aufhält, um zu arbeiten.

Die Nostalgie der alten Bürowelt

Doch nochmal zurück zum Henri Hotel (das ich übrigens wie so oft in den stilsicher kuratierten City Guides von Smart Travelling gefunden habe). In der Lobby und in den Zimmern stehen kleine Schreibtische, auf denen fein säuberlich Schreibmaschinen, schwarze Schellack-Telefone, Aktenordner, Blöckchen und gespitzte Bleistifte zu finden sind. Es herrscht eine gediegene, Mad-Men-mäßige Atmosphäre in der Lobby. Sogar eine eigene Tapete haben die Zimmer im Henri, auf denen die alten Insignien der Büroarbeit rapportartig aneinandergereiht sind. Gibt die durchwegs nostalgische Inszenierung dieser alten Bürowelt einen Hinweis darauf, dass diese Zeit vorbei ist? Ich glaub ja. Nachdem wir durch das Industriezeitalter hindurch Arbeit und Leben getrennt haben, erleben wir eine Zeit, in der Bereiche wieder miteinander verschmelzen und so neue Orte entstehen: Aus Hotels und Cafés werden Co-Working-Spaces, aus Büros Hotels, die eigene Wohnung beheimatet das Home Office. Vielleicht kriegen wir ja so endlich unsere Work-Life-Balance auf die Reihe.

Henri Hotel
Bugenhagenstraße 21, 20095 Hamburg
hello@henri-hotel.com
+49 (0)40 554 357-0