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Fünf Denkfehler, die uns allen passieren: »Die Kunst des logischen Denkens« von Maria Konnikova

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Ein paar Worte zur Lage der Menschheit

Wir leben bekanntermaßen in Zeiten, in denen sich die Gesellschaft, der Markt, die Branche, das Business, Unternehmen und ihre Strukturen stark verändern. So schnell, dass das menschliche Denken nicht hinterherkommt. Denn es funktioniert in seiner Machart so, dass es sein Weltbild größtenteils auf Bekanntem, Gelerntem und Gewohntem konstruiert. Höchste Zeit, sich mit den menschlichen Denkmustern auseinanderzusetzen. Mit dem logischen und »achtsamen« Denken, aber auch den Denkfehlern, denen wir immer und immer wieder auf den Leim gehen. Mir ist es ein echtes Anliegen, an die Vernunft zu appelieren, in Zeiten, in denen Panikwellen und Hysterie durch die Social schwappen und man beizeiten den Eindruck hat, wir wären im digitalen Mittelalter angekommen. Aber auch in Zeiten, in denen es unter Umständen über das schiere Überleben entscheidet, ob Unternehmen, Strukturen, Teams, und jeder Einzelne in der Lage sind, sich nicht auf das Gelernte zu verlassen, sondern sich zu verändern.

Logisches Denken

Jedes Eselsohr markiert eine interessante Stelle im Buch. Viele interessante Stellen in »Die Kunst des logischen Denkens«

Ein paar Worte zu Sherlock Holmes

Viel Aufschluss zu diesen Themen bietet »Die Kunst des logischen Denkens« (»Mastermind« im englischen Original, wie immer ein coolerer Titel als im Deutschen), der New York Times-Bestseller von Maria Konnikova. Auf sie und ihr Buch gestoßen bin ich wie so oft in meinen Lieblingspodcast »Design matters« von Debbie Millman, die wie selbstverständlich in ihren Interviews den Bogen zwischen Designern und anderen kreativen Typen schlägt. Maria Konnikova hat in Harvard Psychologie und kreatives Schreiben studiert.

Um die menschlichen Denkprozesse plakativ zu illustrieren, beleuchtet Konnikova sie immer von zwei Seiten: auf der einen Seite der Idealprozess, auf der anderen den fehlerhaften Denkprozess. Das praktische Beispiel, an dem Maria Konnikova diese beiden Sichtweisen erklärt und verdeutlicht, sind die beiden Figuren Sherlock Holmes und Dr. Watson. »System Holmes« steht dabei bekanntermaßen für den Idealdenkprozess: das aufmerksame, achtsame Denken, die Konzentration, die Fähigkeit, nicht zu schnelle Schlüsse zu ziehen und nach ausgiebiger Sammlung von Informationen durch einen kreativen Denkprozess zu einer neuen Lösung zu kommen. »System Watson« wiederum begeht alle nur möglichen Denkfehler: er ist unachtsam und lässt sich leicht durch Nebensächlichkeiten ablenken, trifft vorschnelle Annahmen, die ihn im Folgenden immer weiter in die Irre leiten. Wenn man das auf sein eigenes Denken übertragen möchte, heißt das, man solle seinen eigenen, inneren Holmes kennen. Und seinen eigenen, inneren Watson.

Ein paar Worte zum Denken

Konnikova appeliert an das logische Denken und erinnert daran, das wir als Kinder einmal alle wirklich offenen Geistes durch die Welt marschiert sind: »Ehe wir’s uns versehen, haben wir diese angeborene Aufmerksamkeit, dieses Engagement und diese Neugier gegen eine Reihe von passiven, gedankenlosen Gewohnheiten eingetauscht« und: »Es ist ein schmaler Grat zwischen Effizienz und Gedankenlosigkeit.«

Sie zerlegt durch das gesamte Buch hindurch den Denkprozess in all seine Einzelteile. Im ersten Schritt, was wir überhaupt wahrnehmen und was wir ausblenden. Wie wir dann im zweiten Schritt Teile der Information in unserem »Dachboden« verstauen. Dann, im dritten Schritt, der kreative Akt, die gesammelten Informationen auf die nächste Stufe einer neuen Erkenntnis zu heben. Und zuletzt, daraus Lösungen abzuleiten, ohne voreilige Schlüsse zu ziehen. Interessant ist dabei Konnikovas Analyse, wie das menschliche Denken eigentlich funktioniert und wie viel der Mensch eigentlich falsch macht beim Denken.

Logisches Denken

Sich Notizen in Bücher machen: absolut erlaubt. Sogar sehr gut, zum memorieren und encodieren.

Fünf Denkfehler, die uns allen passieren

1. Wir stopfen unser Gehirn mit sinnlosen Informationen voll

Der unachtsame Denker, also System Watson, wählt nicht aus, welche Informationen er überhaupt auf seiner Festplatte abspeichern will. Informationen rutschen den ganzen Tag unbemerkt rein, besonders solche, die uns überall leicht konsumierbar dargeboten werden: News, Schlagzeilen, Facebook-Postst, Girls in Bikinis auf Großflächenplakaten usw usw. »Doch das«, warnt Holmes, »ist eine gefährliche Strategie. Ehe Sie sich versehen, haben Sie so viel nutzlosen Krempel im Kopf, dass auch die Informationen, die eigentlich nützlich wären, so tief vergraben sind, dass sie ebensogut nicht vorhanden sein könnten.« Und: »Wir wissen nur das, woran wir uns zu gegebener Zeit auch erinnern können.« Der bewusste Ansatz dagegen geht achtsamer damit um, welche Informationen wir auf unsere Festplatte packen, und sorgt dafür, dass wir diese Informationen auch encodieren, also erinnern können. Der sogenannte Scooter-Libby-Effekt erklärt, warum man sich Dinge leichter merken kann, die einen interssieren, es sozusagen eine Erinnerungsmotivation gibt (andersherum bedeutet das auch, dass man sich bestimmte andere Dinge partout nicht merken kann, weil sie einen einfach nicht interessieren).

2. Ist die Vorstellung erstmal da, glaubt man sie auch

Eine weitere Default-Einstellung des Gehirns, die man sich bewusst machen muss, ist, dass es erstmal glaubt, bevor es hinterfragt: »Damit unser Gehirn etwas verarbeiten kann, muss es zunächst daran glauben, und sei es nur für den Bruchteil einer Sekunde.« Sie zitiert William James, der schon vor 100 Jahren gesagt hat: »Alle Aussagen, ob attributive Aussagen oder Existenzaussagen, werden allein dadurch geglaubt, dass man sich eine Vorstellung davon macht.« Erst nachdem wir und eine Vorstellung gemacht haben, beginnen wir mit der anstrengenden Arbeit, sie anzuzweifeln – wenn überhaupt. Denn »wenn wir beschäftigt, gestresst, abgelenkt oder anderweitig geistig geschwächt sind, werden manche Dinge als wahr gespeichert, obwohl wir uns nie die Zeit genommen haben, sie zu prüfen.«

3. Voreilige Schlüsse

Außerdem ein Denkfehler, den man überall um sich herum beobachten kann: »Unser Verstand tut nichts lieber, als voreilige Schlüsse zu ziehen.«Und das liegt in seiner ureigensten Aufgabe begründet: »Unser Gehirn ist für schnelle Urteile gemacht. Würden wir über jedes Element nachdenken, wären wir verloren. Unsere Welt würde viel zu schnell viel zu komplex.«. An sich ist also diese Eigenschaft des menschlichen Denkens eine Art Schutzmechanismus, ein mächtiger Filter. Man muss sich halt dessen bewusst sein. »Die Art und Weise, wie wir die Welt sehen und wie wir darüber denken, lässt sich nur schwer ändern, und unsere Vorurteile sind erstaunlich zäh.«

Ein paar Beispiele an häufigen Denkfehlern, die zu zu voreiligen Schlüssen führen:

  • Ein bekanntes Phänomen ist zum Beispiel der Primäreffekt: die Tatsache, dass der erste Eindruck, den ich von einer Sache oder einer Person habe, einen starken Einfluss auf meine weiteren Beobachtungen und schließlich auch mein Urteil haben.
  • Dabei kann man auch leicht dem Halo-Effekt auf den Leim gehen: »Fällt ein Element, z.B. die äußere Erscheinung, positiv auf, wird man auch die anderen Elemente als positiv betrachten; und alles, was nicht passt, wird mühelos – und unbewusst – wegerklärt.«
  • Das menschliche Denken ist ebenso anfällig für den Attributionsfehler: »Alles Negative (an einer Person) wird zur Folge äußerer Umstände – Stress, Anspannung, Pech oder was auch immer – erklärt, alles Positive ihrem Charakter zugeschrieben.«

Und zuguterletzt kommt uns beim Denken auch noch die eigene Eitelkeit ins Gehege: »Wir bleiben unseren Ansichten gern treu und irren uns nicht gern. Deshalb hat der erste Eindruck meist einen unverhältnismäßig großen Einfluss – unabhänig davon, welche Hinweise noch folgen.«

4. Die Macht des Nebensächlichen

Wir sollten uns immer darüber bewusst sein, welchen Einfluss die Außenwelt auf unsere Urteile hat: »Das Wetter ist ein sehr starker Prime, der uns immer wieder beeinflusst, obwohl wir uns seiner Wirkung kaum bewusst sind.«, und als Beispiel: »Dieser Effekt geht weit über die schlichte Selbsteinschätzung hinaus und spielt sogar in sehr wichtige Entscheidungen hinein. Bei Regen schenken Studenten, die eine zur Wahl stehende Universität besichtigen, dem akademischen Angebot mehr Beachtung als bei Sonne. Pro Standardabweichung, um die die Wolkendecke an diesem Tag zunimmt, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit um 9 Prozent, dass sich ein Student auch tatsächlich dort einschreiben wird. Wird das Wetter schlecht, sind Wertpapierhändler bei ihren Entscheidungen eher risikoscheu; kommt die Sonne heraus, nimmt die Risikofreude zu. Das Wetter kann sehr viel mehr als lediglich für eine hübsche Kulisse sorgen. Es hat einen unmittelbaren Einfluss auf das, was wir sehen, worauf wir achten und wie wir die Welt einschätzen.«

5. Das Wandern der Gedanken

Eine Grundproblematik des menschlichen Geistes scheint zu sein, dass er ständig wandert. Verstärkt wird dies durch das Multitasking, das die Plage unserer modernen Existenz darstellt. Aber die Menschen scheinen sich zusätzlich ständig ablenken zu wollen: »Wir entscheiden uns ständig aktiv dafür, uns auszuklinken. Wir tragen beim Gehen, beim Laufen und in der U-Bahn Kopfhörer und hören uns irgendetwas an. Wir schauen beim Abendessen mit Freunden und Familie immer wieder aufs Telefon. Wir denken in der aktuellen Besprechung bereits an die nächste.« In einer Studie mit 2.200 Erwachsenen fand Daniel Gilbert heraus, dass »Menschen in ungefähr der Hälfte aller Fälle – 46,9 Prozent – an etwas anderes denken als an das, was sie gerade tun.« Das ist natürlich völlig kontraproduktiv, wenn man seinen wachen, aufmerksamen Geist schulen will: »Ein wacher, aufmerksamer Geist ist ein gegenwärtiger Geist. Ein Geist, der nicht wandert. Ein Geist, der sich aktiv mit dem beschäftigt, was er gerade tut.« Konnikova schildert ein Beispiel einer ihr bekannten Psychologieprofessorin, »die jeden Tag zwei Stunden lang auf Internet und E-Mail verzichtet, um sich ausschließlich aufs Schreiben zu konzentrieren.« Von dieser selbst auferlegten Disziplin und Distanz können wir viel lernen, um Kreativität und Klarheit im Denken zu erlangen.

Logisches Denken

Mehr Abstand für Kreativität

So. Jetzt haben wir uns erstmal mit den Schwierigkeiten beschäftigt, die Konnikova als natürliche Fallen des menschlichen Denkens beschreibt. Jetzt kommen wir zu dem Punkt, an dem alles, was er im Detail wahrgenommen, abgespeichert und verarbeitet hat, den Menschen dazu befähigt, sich loszulösen und auf eine neue Denkebene zu kommen. Mit seiner Kreativität und Fantasie ist er so in der Lage, Probleme zu lösen und wahrhaft Neues zu denken.

Der ganze Witz ist, den Perspektivwechsel und Quantensprung im Denken hinzubekommen. Zwischen sich und ein Problem Abstand zu bringen, kann einem oft dabei helfen, einen anderen Blick auf die Dinge zu bekommen. Dabei gefällt mir der Gedanke, dass es oft eben auch einfach ein räumlicher Abstand ist, zum Beispiel, den Schreibtisch verlassen, den Raum verlassen, das Haus verlassen. Und schon sehen die Dinge anders aus. Dieser Abstand lässt sich aber auch in ganze anderen Dimensionen herbeiführen.

Konnikova sagt dazu: »Der Psychologe Yaacov Trope behauptet, psychologische Distanz könne der wichtigste Schritt sein, um Denken und Entscheidungsfindung zu verbessern. Es gibt verschieden Arten davon: die temporale oder zeitliche Distanz (in die Zukunft wie in die Vergangenheit); die räumliche Distanz (wie groß die körperliche Nähe oder der körperliche Abstand zu einer Sache ist); die soziale Distanz oder der Abstand zwischen Menschen (wie ein anderer die Sache sieht); und die hypothetische Distanz oder der Abstand zur Realität (wie die Dinge passiert sein könnten). Aber ganz gleich, um welche Art von Distanz es sich handelt, sie alle haben eines gemeinsam: Sie verlangen von Ihnen, dass Sie im Geiste über den unmittelbaren Augenblick hinausgehen. Sie verlangen von Ihnen, dass Sie einen Schritt zurücktreten. Trope postuliert: Je weiter wir uns entfernen, desto allgemeiner und abstrakter werden unsere Perspektive und unsere Interpretation; und je weiter wir von der eigenen Sicht abrücken, desto umfassender wird das Bild, das wir bei unseren Überlegungen berücksichtigen können.«

Um die Gefahr voreiliger Schlüsse zu vermeiden, empfiehlt Konnikova, die eigene Wahrnehmung dahingehend zu schulen, auch bewusst Abstand zum eigenen Denken zu trainieren, nämlich die eigene Beobachtung und die daraus folgende Beurteilung zu trennen: »Es ist eine nützliche Übung, eine Situation von Anfang an mündlich oder schriftlich zu schildern, als wollten Sie sie einem Fremden beschreiben, der mit den Einzelheiten nicht vertraut ist (…). Diese Übung ähnelt der Methode, eigene Texte laut durchzulesen, um grammatikalischen, logischen oder stilistischen Fehlern auf die Spur zu kommen. Ihre Beobachtungen sind so stark mit Ihrem Denken und Ihrer Wahrnehmung verflochten, dass sie es wahrscheinlich schwierig, wenn nicht gar unmöglich finden werden, die objektive Wirklichkeit von ihrer subjektiven Darstellung in Ihrem Kopf zu trennen.«

Logisches Denken

Mehr Zeit zum Nachdenken

Das Mittel des Abstands, um eine übergeordnete Ebene im Denken, um Kreativität und Problemlösung in Gang zu setzen, ist sehr einfach anzuwenden. So gehört zum Beispiel das Gehen zu den Aktivitäten, die das kreative und problemlösende Denken anregen. Nach einem Spaziergang sind Menschen besser im Lösen von Problemen (räumliche Distanz). Manchmal hilft es auch, die Dinge liegenzulassen und sich erst am nächsten Tag wieder damit zu befassen (zeitliche Distanz). Manches Telefonat im Geschäftsleben wird zur erhitzten, wenig konstruktiven Diskussion, in der sich beide Seiten verrennen. Da wäre es manchmal besser, das Gespräch abzubrechen und zu vertagen (soziale Distanz).

Und doch wundere ich mich oft, wie wenig weises Denken in der Geschäftswelt angewandt und auch anerkannt wird. Was sagt denn wohl der Chef, wenn Sie ihm sagen: »Ich komm da grad gedanklich nicht weiter, ich mach jetzt erstmal einen Spaziergang.« Oder: »Ich lass das jetzt mal bis Morgen liegen.« Klingt doch irgendwie sofort nach einer faulen Ausrede zum Müßiggang, oder? Zeit zu Denken, um die echten Probleme zu lösen, gibt es kaum. Es herrscht allgemeine Hektik und Aktivismus vor; es zählt immer mehr, etwas zu tun, etwas zu machen. Vielleicht verbirgt sich dahinter irgendwie auch noch die Denke des industriellen Zeitalters, in der wir immer noch gefangen sind: Man muss ja erstmal ein Produkt machen, das man hinterher verkaufen kann. Ein Dienstleister muss erstmal eine Stunde lang etwas tun, so dass ich die Stunde hinterher meinem Kunden in Rechnung stellen kann. Aber von dieser Denke werden wir uns in den nächsten Jahren wirklich noch verabschieden müssen. Um die anstehenden Probleme kreativ zu lösen. Mit Nachdenken.

Maria Konnikovas Interview bei Debbie Millman als Podcast

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