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Interview: Vier Fragen an Lars Vollmer, Autor des Spiegel-Bestsellers »Zurück an die Arbeit«

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Lieber Lars Vollmer,

Sie sind bekannt als Querdenker und Vordenker, als jemand, der etablierte Strukturen in den Unternehmen als aus dem Taylorismus entsprungene, 100 Jahre alte Strukturen entlarvt, die vor allem damit beschäftigt sind, sich selbst aufrecht zu erhalten. In Ihrem Buch »Zurück an die Arbeit« beschreiben Sie, dass Menschen, die in diesen Strukturen »Business-Theater« spielen müssen, sehr unglücklich sind. Und dass eigentlich jeder Mensch Freude daran hat, produktiv zu sein und etwas Sinnvolles zu schaffen.

Sind Unternehmensstrukturen von heute in der Lage, sich zu ändern?

Prof. Dr. Lars Vollmer: Unbedingt. Das Arbeiten an unternehmerischen Strukturen halte ich im Übrigen auch für deutlich einfacher – und zudem ethischer – als den Versuch, das Verhalten oder gar die Werte von Menschen zu manipulieren. Ich bin nicht der einzige, der entgegen der landläufigen Meinung die Unternehmensstrukturen eher als die soft facts bezeichnet und das ›Menscheln‹ als hard facts. 

Transformierbar sind Strukturen daher, weil sie aus einer Vielzahl von Praktiken und Methoden bestehen, die jede einzeln verändert oder gar abgeschafft werden kann. Nehmen wir beispielsweise die aus dem Industriezeitalter kommende Überzeugung, übergreifende Aufgaben in Funktionen und Gewerke auf- bzw. abzuteilen. Heute ist es nicht nur technisch viel einfacher, sondern auch in dynamischen Marktumfeldern viel erfolgreicher, diese Überzeugung zu Gunsten von interdisziplinären Teams mit geteilten Zielen aufzugeben. Dies geschieht auch schon in nahezu allen Unternehmen, immer noch häufig aber nur als Ausnahme, Projektgruppe oder gar ›unter dem Radar‹. 

im Unternehmen bilden sich Strukturen

 

Ich arbeite seit bald 20 Jahren in der Kreativbranche, in Design- und Markenagenturen, vor allem für Konzerne und mittelständische Unternehmen. Ich denke, die Wirtschaft braucht Kreativität und die Kreativbranche mit ihrer Fähigkeit, außerhalb vorgefertigter Strukturen und Denkmodellen zu neuen Lösungen zu kommen, sei es auf Produkt- oder Kommunikationsseite. Trotzdem hat die Wirtschaft ein extrem ambivalentes Verhältnis zur Kreativität; allein, dass man sich kreative Leistung »hinzukauft«, ist ja schon Aussage genug. Hier gibt es ein echtes Paradoxon: Häufig lehnen Organisationen, Unternehmen und einzelne Entscheidungsträger kreative Ideen ab, erklären die Kreativität aber gleichzeitig öffentlich zu einem wichtigen und manchmal sogar zentralen Ziel (wie Maria Konnikova das in ihrem Buch »Die Kunst des logischen Denkens« beschreibt).

Warum diese Angst vor Kreativität? Und welche Chance geben Sie ihr in Unternehmensstrukturen?

Prof. Dr. Lars Vollmer: Management hat Angst vor Unordnung, denn Unordnung erzeugt Ineffizienz. Mit Management meine ich übrigens nicht die handelnden Personen, sondern die Methodik, das verwendete Instrumentarium – die Sozialtechnologie wie wir es gerne nennen. Es war Jahrzehnte lang einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren von Unternehmen, Kreativität in kleine Zimmer der Forschung&Entwicklung einzusperren und den Rest der Organisation damit nicht zu behelligen. So konnte der Normalbetrieb gut geschmiert und überraschungsfrei ablaufen. Das war rational vernünftig und hoch wirtschaftlich.

Nun wird heute ein Unternehmen immer häufiger auch im Tagesgeschäft mit Überraschungen konfrontiert, auf die es schnell Antworten braucht. Weil es zumeist viel zu lange dauert, erst systematisch für einen Ausnahmefall Prozesse und Regeln aufzustellen, sind Ideen, also Kreativität an vielen Stellen des Unternehmens gefragt. Dass diese den früher so erfolgreichen Prozessen auch mal widersprechen, wird nur ungern akzeptiert, denn diese Vorgehensweise sieht wie Unordnung aus. 

Ich möchte daher auch ungern Managern eine echte Angst vor Kreativität zusprechen. Von Managern wird Klarheit, Ordnung und Struktur erwartet. Hier braucht es sicher eine Aufklärung und eine Entpersonifizeirung, um einen strukturellen Wandel einleiten zu können. Heute noch sind immer die Manager schuld und es wird vergessen, dass sie zumeist in einem recht starren Handlungsrahmen agieren. Diesen allerdings können auch nur sie verändern und damit begründet sich die tiefgreifende Aufklärung über Unternehmen im 21. Jahrhundert, die ich propagiere.

Strukturen in Unternehmen meist verdreht

 

Wir erleben Zeiten, in denen Unternehmen daran arbeiten, ihre starren Strukturen und abgeschotteten Silos aufzubrechen. Abteilungen sollen sich vernetzen, interdisziplinäre Teams sitzen zusammen auf großen Projektflächen. Oft ist jedoch auch zu beobachten, dass sich in der vielbeschworenen Teamarbeit der einzelne gerne hinter dem Team versteckt. Innerhalb der »Schwarmintelligenz« übernimmt keiner mehr echte Verantwortung für das eigene Handeln, denn der Schwarm ist niemals richtig greifbar.

Glauben Sie an die Teamarbeit? Können Teams echte Innovation hervorbringen?

Prof. Dr. Lars Vollmer: Klares Ja. Die vielfältigen komplexen Aufgbabenstellungen in den heutigen Organisationen lassen sich alleine, also ohne den Kontext eines sozialen Systems nicht oder nur sehr ungenügend lösen. Ich würde Ihre Aussage in folgender Weise umformulieren wollen: Nur Teams können echte Innovation hervorbringen. Denn Ideen entspringen zwar einem Individuum, aber sie sind „hässliche Kinder“ bei der Geburt. Zu einer Innovation wird eine Idee durch einen komplexen, zumeist unterrichteten Kreativitätsprozess, der nur in Teams absolviert werden kann.

Teams heute sind vielfach keine echten Teams, sie heißen nur so. Es sind immer noch Abteilungen, also Gruppen, die nebeneinander leisten. Echte Teams aber leisten füreinander und miteinander und sind in der Leistungserstellung aufeinander angewiesen. Sie sind auf Basis von Freiwilligkeit gegründet, arbeiten oftmals temporär und haben sich selbst durch die Provokation mit dem Problem zusammengestellt. Passung der Akteure zueinander spielt eine riesige Rolle. Und es muss jederzeit risikofrei möglich sein, einen Vorschlag innerhalb des Teams abzulehnen – daher sind echte Teams von formaler Macht zu befreien. Hier wird häufig konzeptionell stark geschlampt und so funktionieren die Teams dann auch nur unbefriedigend. 

Ich habe mir selbst eine Standardfrage zurecht gelegt, wenn immer ich – und da ist mein Eindruck kein anderer als Ihrer – jemanden beobachte, wie er sich „hinter dem Team versteckt“: Warum könnte dieses Verhalten der Person opportun sein? Welche rationalen Gründe gibt es im Kontext des Teams, die dieses Verhalten vernünftig machen? Welcher Sinn steckt also im Unsinn? Diese Frage bringt häufig höchst wertvolle Antworten zu Tage.

Lars Vollmer

 

Manchmal könnte man den Eindruck gewinnen, in den Unternehmen heute herrscht vor allem Hektik und Aktivismus vor. Hauptsache, »man tut was«, um der Veränderung, digitalen Transformation etc. etwas entgegensetzen zu können (falls der Vorgesetzte nachfragen sollte). Den ganzen Tag Besprechungen, Calls, Teammeetings, Jour Fixes, Brainstormings, Workshops. Kein Mensch hat mehr Zeit, einfach mal über eine Sache nachzudenken und einen klaren Gedanken zu entwickeln. In den loftartigen Großraumbüros hat man keine Chance, Ruhe zu finden und zu sich zu kommen.

Was sind Ihre Strategien, innerhalb Ihres eigenen Alltags zum Nachdenken zu kommen?

Prof. Dr. Lars Vollmer: Ich versuche mir regelmäßig sogenannte „Fokus-Wochen“ einzurichten, die ich dann sehr konzentriert in meiner Wahlheimat Barcelona verbringe. Außerdem suche ich immer wieder gezielt 1:1 Diskussionen mit spannenden Menschen, mit denen ich meine Gedanken und Ideen debattieren kann. Die Zeit in Flugzeugen und Eisenbahnen verbinde ich dann noch zumeist mit Lesen oder dem Hören von Hörbüchern. Alles in allem kann ich so dem hektischen Alltag einiges an Ruhe- und Inspirationszeiten entgegensetzen. 

Lars Vollmer

 

Vielen Dank, Herr Vollmer!

http://larsvollmer.com

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