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HELLO FUTURE – Where Will Communication Design Go? Interview

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Franziska Utz, Johanna Osterrieter und Sophia Rau haben gerade im Rahmen ihrer Bachelor-Arbeit Zukunft des Kommunikationsdesigns an der Hochschule für Gestaltung Schwäbisch Gmünd ein umfangreiches, tolles Buch geschrieben und gestaltet: HELLO FUTURE – Where Will Communication Design Go?, vollgepackt mit Experteninterviews: Jürgen Siebert, Joey Lee, Typemates, Marc Engenhart, Nikolas Klein, Steffen Süpple, Eva Kubinyi, Johannes Bergerhausen, Ted Davis und mir, Julia Peglow. Noch ist das Buch nur als Prototyp vorhanden. Die Designerinnen sind auf der Suche nach einem Verlag. Hier mein Interview in voller Länge. Ich freu mich darauf, das Buch mit all seinen Beiträgen zu lesen.

Julia, was ist Kommunikationsdesign heute für dich?

Auf diese Frage kann ich euch ein tröstliches Wort voranschicken, vor allem im Hinblick auf die Digitalisierung und die zahlreichen, neuen Kanäle, die sie mit sich bringt. Und zwar die Worte eines Bekannten, der eine Professur im Bereich Internet der Dinge hat. Er sagte, unter den Designdisziplinen stechen die Kommunikationsdesigner durch ihre Herangehensweise heraus, dass sie zunächst fragen „was wollen wir sagen?“ und daraufhin erst den dafür geeigneten Kanal festlegen. In vielen anderen Disziplinen sei das nicht der Fall, da ihnen bereits ein gängiger Kanal innewohne, aufgrund dessen dann die Lösung antizipiert werde.

Aus diesen Worten kann ich die These entwickeln, die meiner Gesamtaussage voransteht, dass Kommunikationsdesign absolut zukunftsfähig ist, da in dieser Disziplin die eigentliche Botschaft, die man überbringen will, über allem steht. Gerade im Zuge der Digitalisierung können wir ja beobachten, dass oftmals komplett aus dem Sichtfeld gerät, um was es eigentlich geht oder was wir sagen wollen. Deswegen finde ich den Grundgedanken des Kommunikations- designs richtig und relevanter denn je. Die Technologie wird kommen und gehen, aber sich grundsätzlich Gedanken über Kommunikation zu machen, ist eine Maxime, die die Zeit überdauern wird.

Infolge der Digitalisierung entstehen im Design ganz viele neue Begriffe und Disziplinen. Diese voneinander oder vom Kommunikationsdesign konsequent abzugrenzen, fällt schwer. Wir haben das Gefühl, dass die Grenzen immer mehr verschwimmen.

Absolut. An der Stelle muss man sich fragen, wo eigentlich der rote Faden bei all dem ist. Ich würde behaupten, die Kommunikation – normalerweise nenne ich es nicht Kommunikation, sondern die Story –, die Story steht über allem. Und die Story heißt „was will ich erzielen?“ und „mit wem rede ich da eigentlich?“. Das führt mich gleich zu eurer nächsten Frage, womit ich heute mein Geld verdiene. Interessanterweise habe ich erst vor einem halben Jahr mein Berufsbild komplett neu erfunden. Die Jahre davor habe ich als Geschäftsführerin von großen Agenturen gearbeitet, darunter bei der klassischen Brand-Design- und Kommunikationsdesign-Agentur Zeichen & Wunder und der Automotive UX Design Consultancy icon incar. Jetzt arbeite ich selbständig als Beraterin, weil es diese Frage gibt, die mich am aller, allermeisten umtreibt. Diese Frage lautet: „Wie kann ich Dinge richtig vermitteln und welche Story will ich erzählen?“. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass in der sogenannten Business-Welt nur sehr selten wirklich echte und gute Kommunikation oder Austausch zustande kommt. Die Sprache der Business-Welt ist sogar, wie ich finde, völlig verkümmert. Diese Beobachtung hat mich nach 20 Jahren an einen Punkt gebracht, an dem ich sage, dass ich nicht wissen will, was die Unternehmen zu sagen haben, sondern welche Menschen mit welcher Geschichte dahinterstecken. Also habe ich mir zur Aufgabe gemacht, diese Geschichten zu Papier zu bringen und anschließend über die richtigen Medien zu vermitteln.

Gestaltet habe ich selbst schon viele Jahre nicht mehr, nach meinem Job als Junior Designerin in London bei MetaDesignbin ich recht schnell in die Beratung und ins Management übergegangen. Heute hat das, was ich mache, vielmehr mit Schreiben zu tun. Und das ist eine Rolle, in der ich mich sehr wohlfühle.

Solche Berufsentscheidungen haben sicher unter anderem auch finanzielle Hintergründe. Wir haben im Praxissemester die persönliche Erfahrung gemacht, dass die Praktikantengehälter für Kommunikationsdesigner bei 300 bis 400 Euro liegen, während Interaktionsgestalter beispielsweise mehr als das Doppelte verdienen. Da stellt man sich schon die Frage, inwiefern solch ein Unterschied gerechtfertigt ist. Im Grunde gehört das bereits ein bisschen zu unserer nächsten Frage an dich: Wie sieht die Zukunft des Kommunikationsdesigners aus? Welche Herausforderungen stellen sich?

Momentan ist Interaction Design, Interface Design oder UX Design enorm gefragt. Das hat unter anderem damit zu tun, dass diese Designer meistens direkt an einem Produkt mitarbeiten. Die Kommunikationsdesigner hingegen werden häufig ins Marketing oder die Kommunikation gesteckt, also nicht in das eigentliche Produkt. Der Kommunikationsdesigner redet nur über das Produkt, ist aber selbst nicht direkt daran beteiligt. Jemand, der direkt daran arbeitet, trägt sehr viel direkter zur Wertschöpfung des Unternehmens bei, wohingegen jemand, der nur darüber spricht, nicht direkt zur Wertschöpfung des Produktes beitragen kann. Und in dieser unterschiedlichen Platzierung innerhalb der Unternehmensstruktur liegt die Ursache für die Beobachtung, die ihr gemacht habt.

Mich hat im Laufe der Jahre immer mehr interessiert, wo Design in einem Unternehmen angesiedelt ist. Wie schafft man es dort, einen ganzheitlichen Gedanken zu etablieren? Heute sind alle möglichen Designdisziplinen quer über die Unternehmensstruktur verteilt, sitzen aber nur selten an einem gemeinsamen Tisch. Wenngleich auch Design in den letzten Jahren eine Aufwertung erfuhr, zu nennen wäre Design Management, das auf Vorstandslevel agiert. Ich bin überzeugt, dass Kommunikationsdesign die Disziplin sein sollte, die alle Designdisziplinen inter- disziplinär vereinen kann. Wenn dem Kommunikationsdesign das gelingt, dann kann es zu einer Rolle kommen, die dem gerecht wird, was es leisten kann.

In unserer Recherche hat sich Ähnliches zu dem ergeben, was du sagst: Der Kommunikationsdesigner als Übersetzer zwischen den Disziplinen.

Genau, da hast du ein sehr gutes Wort genannt, nämlich den „Übersetzer“. Ich habe oft festgestellt, dass heutige Produktentwicklungen oder Service-Entwicklungen so komplex sind, dass sie in einer normalen, starren Unternehmensstruktur nur schwer umzusetzen sind. Da sind permanent Leute gefragt, die aus dem Expertenwissen heraus eine generalistische Perspektive einnehmen können und zwischen den verschiedenen Gewerken übersetzen. Die Generalisten mit dem großen Blickwinkel auf das Ganze sind die, die in Zukunft alles zusammenhalten können. Und ich sage mal, Designer haben dafür schon immer die richtige Denkweise gehabt, weil sie in der Lage sind, eine Vision zu entwickeln und zu visualisieren. Diese progressive Rolle könnte durchaus den Kommunikationsdesignern zukommen, wenn sie sich eine unternehmerische und strategische Argumentation aneignen.

Du hast bereits einige Fähigkeiten angesprochen, die der Designer mitbringen sollte. Aber wie sieht es mit technischem Knowhow aus? Was sind die wichtigsten Werkzeuge von Kommunikationsdesignern der Gegenwart und welche könnten es in Zukunft sein?

Wie bereits angesprochen, ist es wahnsinnig wichtig und gut, sich eine Ebene der strategischen Argumentation zuzulegen. Ich glaube nicht, dass man das erlernt, indem man Strategic Design oder Ähnliches studiert, es handelt sich dabei vielmehr um ein riesiges Repertoire, das man sich über die Jahre aneignen muss, beispielsweise durch reichlich lesen. Das ist sozusagen der intellektuelle Überbau, den ein Designer braucht. Die andere Stärke liegt genau auf der anderen Seite, nämlich das Gedankengut, die Vision oder eine Idee sofort sichtbar zu machen. Dafür ist es folglich gut, wenn man Tools beherrscht, mit denen das möglich ist. Früher waren das Layout-Programme, heute finde ich es super, wenn man in der Lage ist, ein bisschen zu programmieren. Die Tools entwickeln sich rasend schnell, daher muss man permanent dabeibleiben. Man hat machtvolle Skills an der Hand, wenn man nicht nur Strategien entwickeln, sondern auch schnelle Prototypen umsetzen kann.

Stimmt. Du hast jetzt schon wertvolle Dinge angesprochen, die relevant für unsere berufliche Zukunft sind. Wenn du uns noch einen konkreten Ratschlag mitgeben müsstest, welcher wäre das?

Ich kann zwei Ratschläge geben. Der Eine ist, sich früh in der beruflichen Laufbahn in ein angelsächsisches Land zu begeben und dort zu arbeiten. Denn ich finde, dass das Thema Design und auch Storytelling in diesen Ländern noch einmal ganz anders gehandhabt wird, als in Deutschland. Die Lässigkeit und Aufgeschlossenheit, in der dort über Prozesse gesprochen wird, finde ich bemerkenswert. In Deutschland ist das oft noch sehr engstirnig und ergebnisorientiert. Ich selbst war damals ein paar Jahre in London und bediene mich bis heute oftmals einer anderen Perspektive oder denke gerne bewusst auf Englisch, anstatt auf Deutsch.

Mittlerweile bin ich sogar ganz radikal dazu übergegangen, Englisch und Deutsch miteinander zu vermischen, unter anderem in meinem Blog. In der Realität sprechen wir sowieso alle schon permanent gemischt. Jedenfalls, geht nach London oder San Francisco oder New York und arbeitet dort. Das ist eine Erfahrung, die euch euer ganzes Leben lang bleibt und euch größer denken lässt.

Mein zweiter Ratschlag ist, sich früh mit strategischen Themen zu beschäftigen und auszutesten, ob man nicht ins Consulting oder in die Unternehmensstrategie gehen kann. Das ganze Design-Thema wird dermaßen aufgewertet, wenn man es mit einer strategischen und inhaltlichen Argumentation koppelt. Wenn man in der Lage ist, Design aus einer strategischen Warte begründen zu können, dann legt das auch fest, wo man die nächsten Jahrzehnte sein Dasein fristet. Man kann, wenn man will, auf eine höhere Ebene gelangen – karriere- und mentalitätsbezogen.

Du hast die Themen Ganzheitlichkeit und Wertigkeit des Designs angedeutet, die den Einfluss von Design in gewisser Weise implizieren. Glaubst du, dass Design die Welt verändern kann?

Das ist eine wirklich schwierige Frage, weil es etwas paradox ist. Design ist zugleich eine der unterschätztesten aber auch überschätztesten Disziplinen. Total widersprüchlich. Persönlich finde ich schon, dass die Welt noch nicht erkannt hat, wie mächtig Design ist – vor allem, wenn man sich überlegt, dass das Visualisieren von etwas, nichts ist, was Designer erfunden haben, sondern eine Praktik, die bereits Höhlenmenschen ausübten. Diese Art und Weise des Menschen, nicht nur die Dinge der echten Welt zu sehen, sondern eine gewaltige Vorstellungskraft von Dingen zu entwickeln und dies über Symbole darzustellen, ist so alt, wie die Menschheit selbst. Design ist die Profession, die diese Visualisierung zum Beruf gemacht hat. Auf der einen Seite ist das eine sehr mächtige Fähigkeit. Ich denke, dass man mit diesen Symbolen die Welt verändern kann, weil nichts so mächtig ist, wie wenn der Mensch an etwas glaubt. Damit kann nicht nur kleinen Gruppen, sondern auch riesigen Gemeinschaften symbolhaft eine kollektive Leitidee verliehen werden.

Auf der anderen Seite geht Design total oft in seiner eigenen Echokammer unter. Es findet sich selbst unheimlich wichtig, ist aber immer ein bisschen beleidigt, weil es denkt, niemand habe bisher anerkannt, was es eigentlich kann. Schließlich haben Designer nach wie vor nicht annähernd die Stellung in unserer Gesellschaft, die Ärzte oder Juristen genießen. Wenn ich mir aber so ansehe, was in der Designszene so diskutiert wird – über Kerning oder ein furchtbares Logo, das neulich veröffentlicht wurde –, dann denke ich „ach, Designer, das wird nie was werden“. Es ist kompliziert.

Da steht diese Detailverliebtheit und Detailbesessenheit versus Ganzheitlichkeit im Design.

Genau richtig zusammengefasst.

Julia, gibt es eine wichtige Frage, die wir noch hätten stellen müssen? Es kann auch eine Frage sein, die dich beschäftigt, die du dir selbst stellst.

Mich beschäftigen zahlreiche Themen, weil ich die Welt mittlerweile extrem verrückt finde. Es gibt eine sehr grundsätzliche Frage, die mich beschäftigt, und zwar: Wiederholt sich zurzeit die Geschichte oder kommt jetzt wirklich etwas nie Dagewesenes? Ist die Digitalisierung eine weitere Evolutionsstufe, so wie der Übergang des Menschen vom Nomadentum zum Ackerbauern oder ist es dieses Mal etwas Neues, das uns gefährdet?

Eine weitere Frage, die ich mir stelle, ist: Was kommt eigentlich nach Big Data? Bei Big Data geht es zunächst einmal um das Anhäufen von vielen, vielen Daten. Im Gegensatz dazu steht jedoch diese eine intelligente und richtige Frage, die der Kommunikationsdesigner stellt, auf die Big Data keine Antwort liefern kann.

An dieser Stelle lässt sich ein gutes Schlusswort finden: Ich glaube nicht, dass der Kommunikationsdesigner so leicht vom Roboter zu ersetzen ist, denn er stellt die richtige Frage. Vielleicht ist er auch einer von denen, der die Story so formulieren kann, dass sie irgendwann auf Basis eines Algorithmus oder Bots gelöst werden kann.

About HELLO FUTURE

HELLO FUTURE ist ein Buch, das nach der Zukunft des Kommunikationsdesigns fragt.

Globalisierung und Digitalisierung wecken zunehmend das Gefühl, dass sich die Welt, wie wir sie kennen, an einem Wendepunkt befindet. Der gesellschaftliche Wandel und die zahllosen technologischen Entwicklungen, die mit rasanter Geschwindigkeit aufkommen, beeinflussen unser Leben und unsere Arbeit grundlegend. Wie wird sich Kommunikationsdesign in der Welt der Zukunft verändern?

Im Rahmen der Bachelorarbeit im Fach Kommunikationsgestaltung an der HfG Schwäbisch Gmünd und in Form eines Buchs überdenken Franziska Utz, Johanna Osterrieter und Sophia Rau die eigene Disziplin und die kommenden Anforderungen an den Beruf des Kommunikationsdesigners. Auf der Suche nach Antworten durchquert HELLO FUTURE das Kommende, das Gegenwärtige und das Vergangene: Es zeichnet mit bildhaften Szenarien Visionen der Zukunft, richtet sich mit großen Fragen an Fachleute der Designbranche, befasst sich mit aktuellen Entwicklungen und Tendenzen und blickt zurück auf die Ursprünge der Profession.

HELLO FUTURE ist keine Gebrauchsanleitung für die Zukunft – es lädt zum Nachdenken und Diskutieren ein, bietet Orientierung und zeigt neue Möglichkeiten und Perspektiven auf.

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