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Der Klassiker des Zeitmanagements: Vier Fragen an Lothar Seiwert

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Buchcover von Lothar Seiwerts Wenn du es eilig hast gehe langsam

Ich habe ein laufendes Leseprojekt: Ich lese die Business-Klassiker. Dale Carnegies »How to Win Friends and Influence People« begeistert seit 70 Jahren, Stephen R. Coveys »Seven Habits of Highly Effective People« seit 30 Jahren Menschen auf der ganzen Welt. Ihre Bücher zählen zur am meisten gelesenen Business-Literatur aller Zeiten. Was hinter meinem Leseprojekt steckt, ist jedoch eine andere Frage. Ich möchte herausfinden, ob die Weisheiten, die sie verkünden, heute noch Gültigkeit haben. Gibt es also Regeln, Gesetze und Prinzipien, die, physikalischen Gesetzen gleich, unveränderlich sind? Bleibt der Mensch also in dem ganzen Spiel immer der gleiche, mit den gleichen Problemen und Denkfehlern (wie sie Maria Konnikova in »Die Kunst des logischen Denkens« beschreibt)? Oder verändert sich die Welt im Digitalzeitalter so stark, dass wir ganz neue Denk- und Handlungsmodelle brauchen? Ist der Mensch gar gerade dabei, durch die immer größer werdende Rechenpower und künstliche Intelligenz die nächste Evolutionsstufe zu erklimmen?

Auf einem Autoren-Workshop habe ich neulich Lothar Seiwert kennengelernt und einen sehr unterhaltsames und nettes Gespräch mit ihm geführt, auf einem Schiff, das den ganzen Abend auf dem Bodensee herumgefahren ist. Und natürlich reiht sich Lothar auch in die Business-Klassiker ein – mit 5 Millionen verkauften Büchern, die in über 40 Sprachen übersetzt wurden. Ich selbst habe um die Jahrtausendwende sein »Simplify your life« gelesen. Er war der erste in Deutschland, der Zeitmanagement nicht nur als effiziente Arbeitstechnik, sondern als Weg zu »Life-Leadership« begriff  – und dabei Selbstmanagement und aktive Lebensgestaltung ins Zentrum seiner Mission rückte. Wer wenn nicht er kann mir sagen, was er von der Welt hält, wie sie heute ist – und wie sie sich entwickelt.

1. Lieber Lothar, ich halte die Ausgabe zum 20-jährigen Jubiläum von »Wenn du es eilig hast gehe langsam« in den Händen, vielen Dank dafür. So viele Jahre bist du schon im Geschäft – und die Welt ist noch viel irrer als 1998. Wie siehst du das? Hast du das Gefühl, dass du etwas bewirken konntest?

LS: Natürlich haben sich die Dinge verändert, es ist alles sehr viel schneller getaktet. Es gibt Phänomene wie “Dynaxity”, eine Kreuzung aus Dynamik und Komplexität. Heute ist alles komplex: du kannst Dinge nicht mehr nur benutzen – ständig musst du dein Telefon updaten und deinen Saugroboter programmieren. Was sich dramatisch verändert hat: Die Menschen leiden unter der ständigen Erreichbarkeit. Das zeigen einschlägige Studien von Krankenkassen oder Gewerkschaften, die jeder googeln kann. Die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit verwischt immer mehr. Mitarbeiter klagen, dass ihnen der Chef abends um zehn oder am Wochenende noch über WhatsApp eine Nachricht schickt – und auch noch eine Antwort erwartet. Bei einem großen DAX-Konzern, für den ich einige Jahre tätig war, hat man verfügt, dass Top-Führungskräfte und Vorstände zwar am Wochenende E-Mails schreiben, sie aber erst Montag früh verschicken dürfen. Es löst eben bei Mitarbeitern etwas aus, wenn am Sonntagmorgen vom Chef eine E-Mail kommt. Wir brauchen diese Pausen oder Intervalle. Dazu noch sehr viel mehr in meinem nächsten Buch »Die Intervall-Woche« (erscheint im Herbst 2020 im Droemer-Knaur Verlag Balance, München).

Ob ich etwas bewirken konnte? Sicherlich schon. Mir schreiben sogar Menschen, dass mein Buch ihr Leben verändert hat. Alleine durch den Titel halten sie sich immer wieder vor Augen, auch mal kürzer zu treten und sich nicht so stressen zu lassen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass wir uns den meisten Stress selber machen. Wir glauben, all diesen Erwartungen entsprechen zu müssen und meinen, auf alles sofort antworten zu müssen. Insofern haben wir es in der Hand, daran etwas ändern zu können.

2. In meinem Empfinden sind die Generationen total getrennt voneinander, jede steckt in ihrer eigenen Echokammer – was ein Riesenverlust ist. Denn die Generation, die gerade vorne an vorderster Front der geschäftlichen Welt steht, sollte von denen lernen, die zur Weisheit gelangt sind – genauso wie die nachreifende Generation, die gerade in Schule und Ausbildung steckt.

Erreichst du die junge Generation mit deinen Themen? Warum geben wir in unserer Kultur so wenig Alltagsweisheit weiter, in Bezug auf ganzheitliche, aktive Lebensgestaltung oder Zeitsouveränität?

LS: Bei den Kids, die nur noch YouTube-Videos gucken, da bin ich – mea culpa – nicht so intensiv vertreten. Aber ich erreiche die Generationen, die noch Bücher lesen.

Meiner Meinung nach haben wir in unserer Kultur so wenig Alltagsweisheit in Bezug auf ganzheitliche aktive Lebensgestaltung, weil wir zu sehr vom Augenblick getaktet sind. Du weißt selber auch, wie viel Zeit die Menschen in sozialen Netzwerken verbringen. Was nicht auf Instagram, Facebook oder YouTube hinreichend präsent ist, existiert für viele Menschen nicht.

3. Im Moment erleben wir eine Zeit, die manche die „Digitale Transformation“ nennen. Überall schwirren die Buzzwords wie „Disruption“, „Künstliche Intelligenz“, „Blockchain“ durch die Gegend, es herrscht eine merkwürdig aufgeheizte, aktivistische Grundstimmung. Autor und Zukunftsforscher Matthias Horx nennt das „Technopopulismus“. Glaubst du, dass die Digitalisierung wirklich etwas verändert? Oder wird der Mensch sich niemals ändern?

LS: Natürlich verändert die Digitalisierung etwas Grundlegendes: unser aller Leben. Ich habe früher in der Schule den Roman »1984« von George Orwell gelesen – darauf steuern wir längst zu. Jeder weiß oder sollte es zumindest wissen, dass digitale Daten allerorten überwacht, getrackt und reglementiert werden können. Aktuell wird zum Beispiel eingeschränkt, für wie viel Bargeld du Gold kaufen kannst: auf zweitausend Euro in diesem Jahr, dann bald auf tausend; dann kannst du nicht mal eine Krügerrand-Münze mehr kaufen, ohne dass das registriert wird. Der Bargeldfluss konnte nie überwacht werden. Das ist allem voran der Grund, warum das Bargeld abgeschafft werden soll. Mit dem Voranschreiten der Digitalisierung wird uns der »Big Brother« von George Orwell noch harmlos vorkommen, angesichts dessen, welche Informationen die Autoritäten und Unternehmen wie Google, Amazon und Apple über unseren Geldkonsum, Fitnesszustand, unser Reise- und Sozialverhalten u.v.m. sammeln. Da wird mir persönlich manchmal Angst.

4. In deinem Buch schreibst du im Kapitel „Das Gehirn entschleunigen“, dass ‚mit zunehmender Beschleunigung eine immer größere Lücke zwischen gelebter Zeitkultur und unseren natürlichen Zeit- und Lebensrhythmen entsteht‘.

Eigentlich leidet doch der Mensch, seit er sich durch die genormte Arbeitskultur des Industriezeitalters von einem natürlichen Arbeitsrhythmus entfernt hat. Gibt es überhaupt einen Weg nach draußen? Muss der einzelne sich ändern oder das System?

LS: Das System, die Gesellschaft, ändern sich nicht. Sie sind die Summe aller Teile und zu komplex. Das ist meine ureigenste Überzeugung: Wir müssen selber anfangen gegenzusteuern, sonst werden wir von unserem Umfeld beschleunigt – und zum Opfer. Darauf kommt es entscheidend an: dass wir unseren natürlichen Rhythmus, unsere Intervalle, finden. Für mich ist das wie beim Segeln: Es kommt nicht darauf an, wie der Wind weht, sondern wie ich die Segel setze. Oder wie in dem alten, orientalischen Zitat: „Wenn du das Land ändern willst, musst du die Provinzen ändern. Wenn du die Provinzen ändern willst, musst du die Städte ändern. Wenn du die Städte willst, musst du die Häuser ändern. Wenn du die Häuser ändern willst, musst du die Familien ändern. Und wenn du die Familien ändern willst, musst du DICH selber ändern.“

Damit fängt es letztlich an. Und das beste und bekannteste Beispiel des Jahres 2019 ist zweifelsohne Greta Thunberg. Mich hat am meisten beeindruckt, wie dieses kleine Mädchen das Bewusstein oder Mindset einer ganzen Generation, ja einen ganzen Planeten beeinflusst und verändert hat. Daran sieht man, dass der Einzelne doch enorm viel bewirken kann.

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