Blog, Everyday philosophy, Good Reads, Life in the digital age

Harter Digital-Tobak: »Im Schwarm – Angesichts des Digitalen« von Byung-Chul Han

4 min read

Dieses Büchlein habe ich von meiner Freundin Sarah-Joan, von der eigentlich immer bedeutungsvolles kommt und die mich auch in Krisenzeiten immer mit dem richtigen Lesestoff versorgt hat (so hat sie mir um die 2000er Jahre auch schon Bücher des Medienphilosophen und Kommunikationswissenschaftlers Vilém Flusser zugesteckt). Es hilft, die Digitalisierung auf einer philosophischen Ebene zu begreifen.

Byung-Chul Han unterrichtet Philosophie und Kulturwissenschaft an der UDK Berlin und veröffentlichte zahlreiche Bücher im Matthes & Seitz Verlag Berlin. Es handelt sich dabei um eine auch optisch extrem ansprechende Reihe an schmalen Taschenbüchern, die sich zum Beispiel tadellos ins Reisegepäck fügen (meine Reisegewohnheit: die Zeit nutzen, um zu lesen und zu schreiben). Diese kleinen, unscheinbaren Büchlein haben es in sich, eröffnen sie einem mit voller Wucht die ganze Breitseite des digitalen Wahnsinns, in dem wir uns befinden und der unsere Gesellschaft in den nächsten Jahren von Grund auf verändern wird. Gottseidank sind sie genau richtig dosiert: Sie enthalten ein paar wirklich kluge Gedanken, die, auf alle Medien und News, die man ständig konsumiert, einen Bruchteil einnehmen. Aber viel mehr würde ein durchschnittlicher Zeitgenosse auch von Byung-Chuls Gedankengut nicht ertragen, ist es doch sehr pessimistisch. Hier drei Gedanken zum Buch, die mich angesprungen haben bzw. bei mir hängengeblieben sind.

IMG_0980

Gedanke 1: Das linear Erzählerische

In vielen seiner Themen erkennt man sich wieder, und es ist immer abgefahren und ein Stück weit befriedigend, wenn er einen Gedanken extrem treffend beschreibt, der einen selbst schon länger beschäftigt hat. Beispielsweise seine These, dass das Narrative, also alles linear erzählerische, heute an Bedeutung verliert angesichts der Leistungsökonomie, die nur Zahlen und das Zählbare totalisiert: »Heute wird alles zählbar gemacht, um es in die Sprache der Leistung und Effizienz umwandeln zu können. So hört heute alles, was nicht zählbar ist, auf zu sein.« Das entspricht durchaus meinem subjektiven Erleben in der Geschäftswelt. Dass es Kreativität und Intuition, aber auch Mut, Vision und Innovation (ebenfalls nicht messbar) angesichts der gnadenlosen Messbarkeit immer schwerer haben. Und das in Zeiten, in denen genau diese Eigenschaften so dringend gebraucht werden.

Oder auch: »Das Wort ‚digital‚ verweist auf den Finger (digitus), der vor allem zählt. Die digitale Kultur beruht auf dem zählenden Finger. Geschichte ist aber Erzählung. Sie zählt nicht. Zählen ist eine posthistorische Kategorie. Weder Tweets noch Informationen fügen sich zu einer Erzählung zusammen. Auch die Timeline erzählt keine Lebensgeschichte, keine Biografie. Sie ist additiv und nicht narrativ.«

Ich habe noch nie verstanden, warum der Mensch eigentlich permanent Systeme errichtet, in denen er selbst unglücklich ist. Kann es wirklich sein, dass der Mensch, wenn die digitale Revolution erstmal vollzogen ist, so archaische Bedürfnisse wie das Geschichten erzählen und Geschichten hören verloren haben wird? Ich kann es mir nicht vorstellen. Aber wir haben ja auf unserem Weg in die Digitalisierung schon einiges verloren. Die Handschrift, beispielsweise.

Julia hält mit ihrer Hand ein Buch auf. Man sieht Notizen im Buch.

Gedanke 2: Das Wort selbst enthält seine Geschichte

Ich mag, dass Byung-Chul Wörter und Sprache so genau anschaut. Denn an der Sprache kann man oft die Herkunft der Dinge erkennen und ihre ursprüngliche Idee. Ich mag das gerne, wenn man das Wörtern und Namen noch anmerkt, wo sie herkommen. Auch Straßen-, Städte- und Familiennamen tragen oft ihre Herkunft noch in sich. Deshalb ist Geschichte auch identitätsstiftend!

Wörter betrachten, zerlegen, sezieren, das tut er durch das ganze Buch hindurch. Zum Beispiel: »Respekt heißt wortwörtlich Zurückblicken. Er ist eine Rücksicht. Im respektvollen Umgang mit anderen hält man sich zurück mit neugierigem Hinsehen. Der Respekt setzt einen distanzierten Blick, ein Pathos der Distanz voraus. Heute weicht er einen distanzlosen Schau, die charakteristisch ist für das Spektakel. Das lateinische Verb spectare, worauf Spektakel zurückgeht, ist ein voyeuristisches Hinsehen, dem die distanzierte Rücksicht, der Respekt (respectare) fehlt.«

Oder wie er sich um den Begriff der Hand dreht und sie in allen möglichen anderen Worten wiederfindet: »’Die Hand handelt‘, so kennzeichnet Heidegger das Wesen der Hand. Aber er begreift das Handeln nicht von der vita activa her. Die ‚eigentlich handelnde Hand‘ ist vielmehr die ’schreibende Hand‘. So manifestiert sich ihr Wesen nicht als Handlung, sondern als Handschrift. Die Hand ist für Heidegger das Medium für das ‚Sein‘, das den Duellgrund von Sinn und Wahrheit bezeichnet. Die schreibende Hand kommuniziert mit dem ‚Sein‘. (…) Heideggers Hand denkt, statt zu handeln. (…) Das Denken ist ein Hand-Werk.«

IMG_0981

Gedanke 3: Zur Transparenzgesellschaft

Das Digitale erzeugt einen Zwang zur Transparenz, sagt Byung-Chul. »Alles muss als Information offen vorliegen, jedem zugänglich.« Das digitale Zeitalter gaukelt den Menschen so grenzenlose Information, grenzenlose Freiheit vor; der Preis, den die Menschen dafür bezahlen, ist jedoch hoch, da sie selbst alle Informationen zur eigenen Person preisgeben. Und da die Wahrheit und das Wissen als altmodische Qualitäten im Informationsüberfluss auf der Strecke bleiben: »Die Information ist kumulativ und additiv, während die Wahrheit exklusiv und selektiv ist. Im Gegensatz zur Information bildet sie keinen Haufen. Man begegnet ihr nämlich nicht häufig. Es gibt keine Wahrheitsmasse. Informationsmasse hingegen gibt es.« Es steckt in allem, was er sagt, ein erschreckender, elementarer Gedanke. Das erklärt einem auf einer philosophischen Ebene das eigene, oft empfundene Unwohlsein im Hinblick auf die eigene und gesellschftliche digitale Zukunft.

Ein wenig anstrengend ist jedoch der durchgehende Pessimismus des Buches. Mir fehlt manchmal, die andere, positive Seite beleuchtet zu sehen. So kann ich der Transparenz durchaus auch positives abgewinnen, nämlich dass sie zum Aufbrechen alter Machtstrukturen und ehemals geschlossener Systeme und »Blackboxen« führt.