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»Back to creativity«: 6 Tipps für sinnvolles Arbeiten in einer Designagentur – Gastbeitrag in HORIZONT online

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Den Arbeitstag eines Kreativen stellt sich Otto Normalverbraucher wahrscheinlich ziemlich entspannt vor. Ist er aber nicht. Deadlines, Briefings, Meetings – »unser Kreativalltag ist mittlerweile ein extremer Kreativitätskiller«, sagt Julia Peglow-Peters. In ihrem Gastbeitrag »Back to creativity« für HORIZONT Online gibt die Chefin von Zeichen & WunderTipps für produktives Arbeiten.

Der Artikel in HORIZONT online

Design- und Kreativagenturen sind eine Insel der Glückseligen. Wir Designer haben unsere Spielwiese zum Beruf gemacht, hier dürfen wir Freigeister sein und die Welt jeden Tag neu erfinden. Unsere Kunden in ihren Konzernen, restriktiven Strukturen und Hierarchien würden sich freuen, wenn sie so arbeiten dürften wie wir.

Doch auch der Kreativprozess ist harte Arbeit und erfordert Disziplin und Energie. Deshalb müssen wir die Strukturen unserer Kunden auch in unserer Welt wiederspiegeln, wenn wir routinemäßig Ideen entwickeln, Briefings erfüllen, Timings halten, überzeugende politische Argumentationen aufbauen wollen.

Das ist wohl auch der Grund, warum sich die schlechten Angewohnheiten und negativen Auswirkungen unserer Auftraggeberstrukturen auch in unsere Arbeit, in unsere Abläufe und Prozesse einschleichen. Unser Kreativalltag ist mittlerweile ein extremer Kreativitätskiller: Das Projektgeschäft übt permanenten Druck aus, ist nur noch kalender- und ergebnisgetrieben. Die Komplexität der Aufgabenstellungen und Unsicherheit der Verantwortlichen verführt zu kosmetischer Problemlöser-Mentalität per Checkliste, statt zu Mut zur einfachen und kreativen Idee.

Wie soll man denn da kreativ sein? Sich gedanklich frei machen? Immer wieder Neues denken? Mutig sein? Hier einige Tipps, wie das geht.

1. Hör’ auf Theater zu spielen

In Zeiten des Umbruchs, in denen wir nun mal leben, lastet ein hoher Druck auf den Kollegen. Also wird ein hohes Maß an Aktivismus entfaltet, um zu beweisen, dass man etwas »tut«. Oft ist nichts dahinter: Hinter all den Mails, Meetings, Kick-Offs, Calls kein Plan und  totale Ideenlosigkeit. Lars Vollmer nennt dieses Phänomen sehr treffend »Business-Theater spielen«, in seinem Buch »Zurück an die Arbeit«.

Hat Dich nicht auch schonmal dieses merkwürdige Gefühl beschlichen, dass alle um Dich herum – Dich eingeschlossen – den ganzen Tag, während sie ihre Termine abarbeiten, nach dieser Kalender-Choreografie Theater spielen? Kennst Du diese Situation? Da gibt es ein neues Projekt. Der Projektmanager macht erstmal einen Termin mit allen Beteiligten. Alle sitzen pflichtbewusst in diesem Termin, ganz erwartungsvoll, entertained zu werden. Dabei sind sie es selbst, die die Dinge voranbringen können und müssen. Aber vor lauter Terminen hat ja keiner Zeit gehabt, tatsächlich etwas zu erarbeiten, das es zu besprechen lohnt. Deshalb: Hör’ auf Theater zu spielen! Arbeite etwas. »Mach« etwas, im eigentlichen Wortsinn. Produziere Material, Ideen, einen Gedankengang. Erst wenn etwas auf dem Tisch liegt, macht es im kreativen Prozess Sinn, sich zusammen hinzusetzen und zu sprechen. Davor nicht.

2. Nimm Dir Zeit für das, was wirklich wichtig ist

In unserem unglaublich kleinteiligen Alltag verliert man den Überblick, was wirklich wichtig ist. Das ist manchmal so, wie den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen. Dazu kommt der unglaubliche Druck, dass heute alles in Echtzeit und gleichzeitig passieren muss. Niemand hat mehr Zeit, die Dinge hintereinander abzuarbeiten, so, dass es Sinn macht (wie es vielleicht letztes Jahrhundert noch war aber schon lange nicht mehr ist). Vor lauter Hektik werden alle Projekte oder auch »Workstreams« parallel angeschoben. Hast Du nicht schon erlebt, dass Kunden panisch und unter enormem Druck Projekte anschieben, aber dann nie Zeit haben, sich um die Projekte auch zu kümmern? Du kannst die Person telefonisch nicht erreichen, manchmal erwischst Du einen Kollegen, der Dir mitteilt, die Person sei im Meeting, auf Mails antwortet sie nicht. Es beschleicht Dich das Gefühl, die Person existiert körperlich nicht mehr, und alle Deine Bemühungen zu kommunizieren gleichen dem Gefühl, in ein schwarzes Loch hineinzurufen.

Ein ganz simpler Trick ist, sich morgens für einen kurzen Moment zu konzentrieren (auch so eine altmodische Tätigkeit) und ein Ziel des Tages zu überlegen. Also: »Was ist heute wirklich wichtig?« oder »Was will ich heute erreichen?«. Das gleiche Spiel funktioniert auch in größeren Zeitläufen. Nimm Dir Zeit für das, was wirklich wichtig ist. Das andere lass einfach gleich ganz bleiben. Es macht keinen Sinn, ein Projekt angeschoben zu haben, nur um es angeschoben zu haben. Es macht nur Sinn, ein Projekt anzuschieben, wenn Du Zeit hast, Dich dann auch darum zu kümmern.

3. Frage immer nach dem Sinn

Im Kreativprozess geht es nicht um Business-Theater. Jeder einzelne am Prozess Beteiligte ist gefragt: Was wollen wir erreichen? Was ist die Idee? Was ist meine Idee? Hat das was ich hier tue einen Sinn? Verstehe ich den Sinn?

Das sind vielleicht nicht die richtigen Fragen, wenn Du in einer Steuerkanzlei oder auf dem Amt arbeitest. Aber definitiv die richtigen Fragen, wenn Du in einer Designagentur arbeitest. Zum Wesen unserer Arbeit gehört nun Mal, dass wir auf wenig bis keine Standards zurückgreifen, sondern im Gegenteil hochindividualisierte Designlösungen „neu erfinden“. Alles, was wir erfinden, muss Sinn ergeben. Deshalb ist meiner Erfahrung nach die beste Vorgehensweise in einer kreativen Designagentur, alles, was man anfasst, mit einer inhaltlichen Idee und Sinnhaftigkeit zu betreiben, egal ob man eine kreative Recherche durchführt, mitten im Entwurfsprozess steckt, ein Angebot schreibt, eine Verhandlung vorbereitet, eine Präsentation schreibt oder ein Timing erstellt. In allem muss eine inhaltliche Idee und ein Sinn stecken.

4. Versteck’ Dich nicht hinter Deinem Team

Es ist fantastisch im Team zu arbeiten. Ich bin überzeugt, dass das der wahre Wert ist, in einer Designagentur zu arbeiten und dass uns das alle geistig flexibel und jung hält. Es gibt jedoch auch ausgefeilte Techniken, sich hinter dem eigenen Team zu verstecken. Das äußert sich dann so: Keiner hat den Hut auf. Keiner wagt den ersten Schritt. Jeder wartet auf den anderen. Keiner trifft eine Entscheidung. Versuch diesen Teufelskreis zu durchbrechen, er ist absolutes Gift für den Kreativprozess! Mach den ersten Schritt. Wenn keiner zum internen Brainstorming-Termin kommt, trommle die anderen zusammen. Ich habe einen geistigen Motivationstrick, um den inneren Team-Schweinehund zu überlisten. Ich stelle mir dann immer vor: Wenn es ganz allein meine Sache wäre und ich müsste es ganz alleine machen – wie würde ich es machen?

5. Mach’ die Dinge anfassbar

Das haben wir Unternehmensberatern, Einkäufern, Marketingmanagern, Produktmanagern, einfach den meisten unserer Kunden voraus: Bei uns kommen am Ende anfassbare Ergebnisse raus. Das ist das Magische am Beruf des Designers und der Grund, warum man lange Jahre glücklich sein kann in diesem Beruf. Man erschafft Dinge, die es nicht geben würde, wenn man sie nicht gemacht hätte. Und das »Machen« hat auch eine ganz wörtliche Bedeutung und inspirierende Wirkung im Kreativprozess: etwas mit den Händen tun, Dinge sichtbar machen, Dinge auf den Tisch legen, Dinge neu anordnen, Zusammenhänge und Prinzipien erkennen.

Wenn wir im Kreativ-Team zusammensitzen, um eine Idee weiterzuentwickeln, ist das für mich die wertvollste Zeit und eine willkommene und inspirierende Abwechslung vom einsamen Mailschreiber- und Pixelschieber-Dasein vor dem Rechner. Wir befinden uns in einem Kreativprozess und von nix kommt nix. Das heißt, wir Designer brauchen immer Material auf dem Tisch, weil man eine Idee nicht theoretisch weiterentwickeln kann, sondern am besten praktisch. Dinge anfassbar machen kann also heißen, »Dinge« auf dem Tisch ausbreiten, um das große Bild zu erhalten: Doku-Fotos, Skizzen, Kundenmaterialien, Bildwelten, Ausdrucke, Stoffe, Farbkarten, Beispiele. »Worte«, die geäußert werden, zu anfassbaren Gedanken machen, in dem man sie auf Karten oder Post-its schreibt und auf dem Tisch ausbreitet. Wir als Kreative müssen unsere Kunden inspirieren, aber zu allererst müssen wir uns selbst inspirieren.

6. Dokumentiere Deinen Weg

Der Weg ist das Ziel. Darin liegt die ganze Wahrheit, und im digitalen Zeitalter trifft das umso mehr zu, den der Paradigmenwechsel heißt: »Think process. Not product.« (Austin Kleon). Der ganze Trick im Kreativprozess liegt eigentlich darin, sich den eigenen Gedankengang bewusst zu machen und ihn zu dokumentieren. Dann bist Du schon auf dem Weg zur Lösung. Notiere Deine Fragen, die Du wirklich noch nicht verstanden hast an der ganzen Sache. Und vertraue Dir dabei. Meistens ist das tatsächlich genau die Kernfrage, die es im Projekt zu lösen gilt (aber nicht wieder in Aktivismus und Business-Theater verfallen und brav „Fragelisten“ erstellen).

Bei uns im Kreativ-Team gibt es deshalb eine Goldene Regel: Der Gedankengang, alles, was wir im Team besprechen, muss immer aufgeschrieben und dokumentiert werden (bei uns gibt es dafür eine eigene Keynote-Vorlage). Das ist der rote Faden, das treibt den Kreativprozess voran. Und so schreibt sich die Präsentation quasi von selbst.