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Lebensräume des 21. Jahrhunderts: Menschen im »Meeting«

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Die Menschen sitzen ziemlich beengt in einem Meetingraum, zwanzig Leute oder mehr. Sie kommen aus England, Deutschland, Korea, Frankreich. Ein Mann ist per Call zugeschaltet. Er ist in Amerika. Sie alle sind zu einem Zweck zusammengekommen, eine Aufgabe, die sie alle erfüllen müssen. Elf Produktlaunches in achtzehn Monaten. Insgeheim denke ich, wahrscheinlich wissen alle, dass das nicht zu schaffen ist. Aber das laut auszusprechen, das würde keiner machen. Obwohl es alle wissen.

Keiner sagt erstmal etwas, ein paar tippen in ihre aufgeklappten Laptops oder scrollen durch ihre E-Mails auf dem Smartphone. Einer nippt an seinem Kaffee in einem türkisfarbenen Pappbecher. Eigentlich eigenartig. Wenn man bedenkt, was in anderen Lebensbereichen passiert, wenn man zwanzig Leute in ein Zimmer steckt. In einem Restaurant. Auf einer Küchenparty. Aber nicht im Meeting. Niemand spricht, nicht mal Smalltalk. Weil »das Meeting« noch nicht begonnen hat. Das »Meeting« ist der Boss.

Die Koreanerinnen mir gegenüber haben bunte Manga-Sticker auf ihren Laptops, das iPhone hat Mickey Mouse-Ohren, die mit Strasssteinchen besetzt sind. Die mit dem iPhone hat leuchtend rote Fingernägel. Ihre Nachbarin eine etwas komplexere Lackierung: jeder Nagel ist anders. Einer ist hellrosa, der nächste hat einen Verlauf von rot nach fleischfarben, auf den nächsten Nagel ist ein winziges Tattoo aufgeklebt. Die Koreanerinnen tippen die ganze Zeit in ihren Laptops herum und sagen kein Wort.

Der Projektleiter präsentiert eine Powerpoint-Präsentation mit der Vision für das neue Produkt. Danach stellen sich alle kurz der Reihe nach vor, wie sie heißen, was ihre Rolle ist. Ich kann mir die Namen nie sofort merken. Ich muss einen Namen mindestens zweimal hören, bis ich ihn mir merken kann. Einige der Engländer haben wir schon gestern getroffen und in der Kantine zusammen gegessen. Ein Curry in einer Pappbox. Ihre Namen kenne ich also schon: Christian, der dandyhafte Ire, Darren, Damien und Phil.

Die Struktur des Unternehmens, also wer mit wem arbeitet, wer gegen wen arbeitet, was hinter den Kulissen passiert, wer wen mag oder nicht, ist mir überhaupt nicht klar.

Aber immerhin sitzen wir alle in einem Raum zusammen. Im Vergleich zu einer Telefonkonferenz. Nur reden tut eigentlich keiner. Der Mann in Amerika, der telefonisch zugeschaltet ist, präsentiert ein paar Powerpoint-Charts. Der Projektleiter fordert ihn auf, langsamer zu sprechen. Der Amerikaner sagt »Alright« und redet genauso weiter wie zuvor. Nach jedem Punkt auf der Agenda fragt er, ob noch jemand eine Frage hat. Keiner fragt etwas. Ich auch nicht. Obwohl ich eigentlich nicht verstehe, was eigentlich von uns erwartet wird.

Ganz am Schluss fragt einer: »So why are we here«? Ich weiß es nicht.

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